Gesetzlos - Roman
Jemand gewiss augenzwinkernd geantwortet: »Nein … bis auf … seltsam, die Fassade des Wohnhauses von Monsieur Archer sieht verglichen mit den Nachbarhäusern dunkler aus als früher.Der Tonabstand hätte sich aber nicht verändern dürfen, oder?« (Das stimmte, die Fassade der Nummer 49a dunkelte noch immer schneller nach als die der Nachbarhäuser.)
Aus Sorglosigkeit und Nachlässigkeit in gewissen Lebensbereichen ersetzte ich meine Waschmaschine erst im Jahr ’99, und zwar an dem Tag, an dem sie sich strikt weigerte zu schleudern.
Ebenfalls im Jahr ’99 bekam Marie-Pierre Valet-Michelet, die sich (seit Langem) mit ihrem Lebensgefährten versöhnt hatte, ein kleines Mädchen, das sie Lucile nannte. Der Brief, den sie mir zusammen mit der Geburtsanzeige schickte, rührte mich zu Tränen.
Einmal im Jahr rief ich Gusta in der Hoffnung an, dass eine der beiden Ermittlungen, in die ich verwickelt worden war, Fortschritte machte, insbesondere jene, die Cathys und Antons Tod betraf, die andere war mir eher egal. Gegen Ende des Sommers 2002 rief er mich schließlich an. Im August war in der Nähe von Saintes-Maries-de-la-Mer ein Mann festgenommen worden, dessen Personenbeschreibung ziemlich genau mit der von Cathys Angreifer übereinstimmte, das Alter, die langen weißen Haare, die blonde Behaarung auf den Händen und sogar die Medaille, die an seinem Hemd angesteckt war, genau genommen ein Sheriffstern – aber er wechselte oft die Dekoration, man fand bei ihm eine Sammlung von etwa dreißig Stück, die er auf verschiedenen Flohmärkten erstanden hatte –, und mit einer schwarzen Plastikwaffe, ebenfalls vom Flohmarkt, hatte er schließlich auch einen Supermarkt im Dorf überfallen. Er hieß Raymond Quillain und war den Experten zufolge unfähig, jemanden zu töten, obendrein besaß er ein Alibi. Die zweite Julihälfte des Jahres ’96 hatte er in Marseille bei seiner Mutter verbracht, einer steinalten aber quicklebendigen Frau, die viel schlauer war als ihr Sohn. Sie versicherte, dass er während seines Aufenthalts die Stadt nicht verlassen hatte, im Übrigen nicht einmal die Wohnung, in der er immer eingeschlossen blieb, wenn er bei ihr wohnte.
Apropos steinalte Leute, wie könnte ich nicht auf den Verlust meines geliebten Alex Luzbourian zu sprechen kommen, der im Februar 2000 ohne zu leiden eines Nachts im Schlaf verstorben war, wie sollte ich den schweren, tiefen Kummer, den ich bei der Nachricht empfand, nicht erwähnen! Sein geheimer Wunsch, hatte er mir eines Tages offenbart (neben anderen Bekenntnissen, die er keinem anderen anvertraut hatte), war es, als Zebra wiedergeboren zu werden. Als junger Mann hatte er das Glück gehabt, im südafrikanischen Botswana, zwischen den Flüssen Savuti und Chobe, der großen Wanderung einer Herde Zebras beizuwohnen, und die Schönheit dieser Tiere, das friedfertige Wesen dieser Grasfresser, ihre Tapferkeit auf der Reise ins gelobte Land (das von hohen Gräsern mit für sie wertvollen Proteinen bedeckt war), das gewaltfreie Funktionieren ihrer sozialen Organisation hatten ihn tief beeindruckt.
Wenn ich an Luzbourian denke – sprich: sehr oft – dann hoffe ich, dass sein Wunsch erhört wurde.
Um das Sterben abzuhaken: Eines Abends im Jahr ’05 kam ich spät nach Hause und sah Herrn Maliport auf seinem Balkon stehen, zur selben Stunde, in derselben lauernden Haltung und aus demselben Grund wie am 21. Juni ’96. Seine Frau hatte die zweite Herzattacke gehabt, aber diesmal war alle ärztliche Hilfe leider vergeblich.
Ich vergaß Gusta. Als ich ihn ’04, irgendwann im Januar, anrief, sagte man mir, er sei tot und begraben, ein Magenkrebs hatte ihn in weniger als drei Monaten fortgerafft.
Ab ’06 reichte mir meine Tätigkeit als Arrangeur nicht mehr aus. Ich hatte diese Tätigkeit immer nur als Übergangslösung betrachtet, aber wie so ein Jahr aufs andere verging, wurde mein Warten auf etwas Unbestimmtes (wenn ich denn überhaupt auf etwas wartete) zu einer Quelle tiefer Angst. Außerdem hatte ich genug von der Variétémusik (zwölf erschienene Sammlungen, zwölf Schallplatten, Autor: Marc Michel). Und was die Alte Musikanbelangte, so hatte ich alles durch, was mir bearbeitenswert erschien. Ich hatte seltene Werke gesucht und (im Jahr ’05) entdeckt, unveröffentlichte Werke (zum Beispiel von Juan de Lienas oder Heinrich Isaac), diese hatte ich zu einer großartigen Sammlung zusammengestellt, in beruflicher Hinsicht war dies mein letztes Vergnügen
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