Gesetzlos - Roman

nun besser als die gelehrtesten Philologen), denn diese Miniaturmaschine mit ihren zahlreichen Funktionen ähnelte mehr einem Gehirn als einer einfachen irdischen Fernbedienung.
    Axel 2 reagierte je nach Wunsch auf die Stimme oder die Berührung durch den Finger und übermittelte Axel umgehend jede kleinste Information über den Raumgleiter oder das ihn umgebende All. (Fünf weitere identische Geräte lagen in einem Koffer parat, für den Fall dass eines verloren ging oder eine Panne auftrat – was nach Marieskis Einschätzung allerdings höchst unwahrscheinlich war, ja sogar unmöglich, wie der stolze Erfinder zuweilen beteuerte.)
    Clara vernahm nicht das leiseste Geräusch, als sie vom Platz abhoben, über der Stadt schwebten und mit einer Geschwindigkeit vom Himmel verschlungen wurden, die ihre Vorstellungskraft überstiegen, wenn ihr davon berichtet worden wäre. Für das Geräuschunterdrückungssystem – einem neben vielen anderen Erfindungen von Marieski, die aus Opera (so sollte Axel ihre Übergangsbehausung im All mit Rücksicht auf Clara bald nennen) jenes unvergleichliche kosmische Gefährt machten, dases tatsächlich war – hatte Marieski zwei Ehrenpreise erhalten: Er hatte (durch viel komplexere und subtilere Mittel als eine simple gleichmäßige Intervallkühlung) sogar das Knacken der Antriebsrohre, ja sogar das kleine Hauchen, Grummeln oder Gurgeln der luftreinigenden Mikroorganismen unhörbar gemacht, obwohl diese ununterbrochen in Aktion waren.
    Es gab keine sichtbare Öffnung, keine Luke (Marieski war strikt dagegen, in seine Raumkapseln kamen keine Luken). Dafür konnte man auf einem breiten gekrümmten Bildschirm den langsamen und schwebenden Tanz der interstellaren Räume beobachten, die Sternenhaufen, die Planeten mit ihren unendlichen Satellitenschweifen, von denen jeder es sich zur Ehrensache machte, sich von seinen Nachbarn durch Form und Farbe zu unterscheiden – und wie von Zauberhand ließ Axel in Opera, zum Erstaunen von Clara, wann immer und so laut sie wollte, die psalmenartige und erhebende Musik des Kosmos erklingen.
    So kam es, dass die glatte Oberfläche von Claras Bewusstsein nicht durch die geringste Furcht gekräuselt wurde und die junge Frau Axel im Plauderton fragte, wohin sie denn führen und wie sie die kommenden Stunden verbrächten. Axel legte ihr eine Halbwahrheit seines Auftrags dar. Sie würden zu seinem Planeten reisen – dem er den Namen »Renata« gab, und zwar, wie er erklärte, zu Ehren einer alten Dame, die er sehr mochte –, zu seinem Planeten, der der Erde sehr ähnlich war, und dessen Bewohner Clara brauchten, sie und ihre Gegenwart, damit sie wieder zu Kräften kämen und Gefallen am Leben fänden, dank ihrer irdischen Schwingungen, die Kraft und Leben spendeten (die Wissenschaftskoryphäen von Renata, erklärte er, verfügten über die Fähigkeit, dieses Wunder zu vollbringen, die Übertragung der ungreif baren psychischen Lebenskraft von A nach B).
    Darauf Clara, ohne eigentliche Furcht und als wären ihre Erinnerungen schon weit fort:
    »Wird mein Onkel sich auch keine Sorgen machen?«
    »Er wird gar keine Gelegenheit dazu haben«, erwiderte Axel (wobei er eine gewisse Scham empfand, sie anzulügen). »Es ist nur ein Katzensprung. Heute Abend, spätestens morgen, sind wir wieder zurück.«
    Aber die Reise nach Renata dauerte drei volle Tage, und für Clara sollte es eine Reise ohne Wiederkehr sein. Was ihren Onkel Michel Nomen anging … in der Flut an Informationen, die Axel für seinen Auftrag verarbeitet hatte … ja, er wusste Bescheid, er wusste, dass der Onkel seinem Leben ein Ende gesetzt (und auf diese Weise allzu vielen Renatinern nachgeeifert) hatte! Aber wozu sollte er es Clara sagen? Dabei hätte er es ihr schonend beibringen können, er allein wäre dazu in der Lage gewesen, ihr die traurige Nachricht schonend beizubringen, sie mit seinem Blick und seiner Stimme zu trösten, die schärfsten Kanten ihres Kummers abzustumpfen – aber warum, fragte er sich verunsichert, warum stellte er sich vor, wie er Clara trösten würde, wo er sie doch zur Opferbank, zum Tod, zum Nichts führte?
    Er unternahm mit ihr einen Rundgang durch die Raumkapsel, die die himmlischen Sphären durchquerte. (In dem Moment gab er ihr den Namen »Opera«, gewissermaßen als Huldigung an diesen Nachmittag auf der Place de l’Opéra.)
    »Hier ist die Küche mit einem gut gefüllten Kühlschrank … und hier ist Ihr Schlafzimmer. Die Tür hinten führt zum Badezimmer.