Gesetzlos - Roman
Chaussée-d’Antin entlang bis zur Trinité und parkte schließlich rechts neben der Kirche hinter der mir beschriebenen Limousine.
Der Schlüssel steckte.
Ich legte die Plastiktüte in den Kofferraum (der staubig und mit lauter Zeug vollgestopft war), schloss ab und warf, noch immer den Anweisungen folgend, den Schlüssel unters Auto.
Dann fuhr ich so schnell wie möglich wieder los, wobei mich ein plötzliches Zittern überkam, weil ich einen Fuß in diese Entführungsgeschichte gesetzt hatte, während der andere noch in der Geschichte mit Maxime und dem Kofferraub steckte – ich aber bestärkt wurde durch den übersinnlichen Glauben, Maxime würde es begrüßen, wenn ich auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe schlug, es begrüßen und verstehen, dass ich mit meinem zwanghaften Aktionismus den Moment hinauszögerte, in dem ich allein wäre und nicht mehr vor der unerträglichen Wirklichkeit seines Todes fliehen könnte.
Rue de Mogador, schnell, wieder Place de l’Opéra, an dem ich zwanglos vor der Tür des Grand Café parkte. Ich betrat das Café. Fast wahnsinnig vor Nervosität fragte ich mich in geradezu absurder Weise, ob Clara wohl noch da säße.
Ja, sie saß noch dort. Ich steuerte auf sie zu, auf jene Frau, deren Haarpracht das Zentrum der Welt darstellte und die sich nicht von ihrem Platz gerührt hatte, sondern auf ihren Onkel Michel wartete.
Sie sah mich an.
Die Person, die ich entdeckte, besaß durchaus Ähnlichkeit mit einigen Zügen von Claras Portrait. Und wenn man sie aus etwas größerer Entfernung betrachtete, wenn man sich von den langen blonden Haaren mit den vielen Farbnuancen täuschen und hypnotisieren ließ, wenn sich der Geist von vornherein ihrer Identität sicher war, konnte man diese Person leicht mit ihr verwechseln.
Aber diese Person war nicht Clara Nomen.
K APITEL 16
NOMEN
Estella war mir nicht zugedacht
.
Charles Dickens,
Große Erwartungen
Du bemerktest, man schreibt nicht licht auf dunklem Grund,
das Alphabet der Gestirne allein zeichnet sich so ab, skizzenhaft
oder abbrechend; der Mensch fährt fort schwarz auf weiß
.
Mallarmé,
Variationen über ein Thema
Stkouspr
und hinter ihm die glitzernde Raumkapsel, die den asphaltierten Platz an einem einzigen Punkt zu berühren schien, waren nur für Clara sichtbar, aber das wusste Clara nicht – und sie war bereits im Bann des unergründlichen blauen Blicks und der einlullenden Stimme jenes kleinen Mannes mit dem weißen Haar, dem unansehnlichen aber so wohlwollenden Lächeln und dem tadellosen blau-grauen Anzug (seinem Lieblingsanzug, sollte er ihr später gestehen, jenen, den er trug, wenn er Renata besuchte) – so gebannt und verzaubert, dass sie das Vorhandensein der riesigen Raumkapsel und die Tatsache, dass Axel sie ansprach und sie ihm antwortete, ganz natürlich fand – auch wunderte sie sich nicht darüber, dass die Leute auf dem Place de l’Opéra sich an einem Freitagnachmittag um fünfzehn Uhr nicht weiter über das Schauspiel zu wundern schienen, als würden sie es nicht sehen oder als wäre es ihnen vollkommen vertraut.
»Ich heiße Axel. Kommen Sie mit mir«, sagte er mit seiner einschmeichelnden Stimme.
Sie griff nach der Hand, die er ihr entgegenstreckte und folgte ihm in die metallische Raumkapsel, die sie ohne Zögern und vollkommen gelassen betrat. Sie konnte sich kaum noch an die Ereignisse des Tages erinnern, so beruhigend waren Axels Gegenwart und sein Blick, der stets den ihren suchte.
Der Salon eines vornehmen Bürgerhauses in Saint-Maur hätte sich von dem Raum, in den er sie führte, nicht sonderlich unterschieden.(Marieskis Befehle, die auf der sorgfältigen Auswertung von Ethans Bericht beruhten, waren haargenau ausgeführt worden.) Seiner Einladung folgend, nahm sie in einem gemütlichen Sessel mit zurückklappbarer Lehne Platz, einem Sessel, in dem man sicher problemlos einschlief (und in dem sie tatsächlich viel schlafen sollte).
Dann holte Axel aus der Tasche seines Anzuges eine Art schwarzen Spiegel (den er Clara unter dem Namen »Axel 2« vorstellte), ein Rechteck, das aus einer glatten, spiegelnden, unveränderlichen Substanz bestand, einen Gegenstand, bei dem es sich in Wirklichkeit jedoch um eine Tele-Steuerung oder auch »Telepathie-Steuerung« handelte (sagte er freundlich, neigte dabei den Kopf zur Seite und tippte sich mit dem Finger an die Schläfe, zufrieden mit seinem kleinen Wortspiel – er hatte Claras Muttersprache in Nullkommanichts gelernt und kannte sie
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