Gesicht im Schatten: Idylle - Stalking - Mord
kurz vor dem Verdursten. Die Pizza schnitt ich wie
einen Kuchen in vier gleiche Teile und nahm dann jedes Teil einzeln mit Hilfe
einer Papierserviette und aß. Amelie saß die ganze Zeit vor mir und ihr lief
buchstäblich das Wasser im Maul zusammen. Sie verfolgte jede meiner Bewegungen
und mit jedem Mal, wenn ich wieder von der Pizza abbiss, hoffte sie etwas
abzubekommen. Jeweils das letzte Stückchen eines Pizzaviertels wanderte dann in
ihr Maul, was sie ohne zu kauen sofort verschlang.
Während ich meine Pizza aß,
wanderten meine Gedanken wieder zu dem Erlebnis mit dem Mann auf der Straße.
Was ist aus unserer Gesellschaft geworden? Ist das Leben tatsächlich
gefährlicher geworden? Triebtäter gibt es vermutlich schon so lange wie die
Menschheit. Wie war die Gesellschaft früher? Man sprach immer von der „guten
alten Zeit“. Die Menschen heute plagen oft zwei Dinge. Zum einen ist es die
Befürchtung, schutzlos diversen Bedrohung ausgeliefert zu sein und zum anderen
sind es oft unerklärliche Ängste. Angst vor den unterschiedlichsten Dingen.
Meine Gedanken wirbelten unkontrolliert durch meinen Kopf und ich versuchte
eine Erklärung zu finden für diese moderne Krankheit. Denn Angst ist in
Ausnahmesituationen absolut überlebensnotwendig, aber als Dauerbegleiter kann
sie zur Krankheit werden. Vielleicht fehlt es den Menschen an ureigenem
Selbstvertrauen, aber wenn ja, wo ist es geblieben? Wann ist es den Menschen
abhanden gekommen? Wie viel Schuld trägt wo möglich Film, Fernsehen und
Videospiele. Es wird den Menschen eine Situation vorgegaukelt, die nicht real
ist, die das Gehirn aber als real einstuft. Aber konnte dies der einzige Grund
sein für die immer weiter um sich greifende Angst der Menschen auf der einen
Seite, und der auch immer brutaleren Gewalt der Menschen auf der anderen Seite.
Ich musste Angela fragen, ob sie das genau so empfindet.
20
Meine Mahlzeit war beendet und ich räumte schnell den
gebrauchten Teller und das benutzte Messer in die Spülmaschine. Ich schenkte
mir ein neues Glas Rosé ein, verdünnte es dieses Mal aber mit Mineralwasser, so
wie ich es eigentlich immer tat. Es klingelte an der Tür. Amelie bellte einmal
und rannte aufgeregt hin. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob Amelie einen
Einbrecher genauso freudig empfangen würde und hoffte, dass es nie zu einer
solchen Situation käme..
Angela stand vor der Tür, unter
dem linken Arm eine dunkelblaue Flasche und in der Hand einen gefalteten Bogen
Papier.
„Hallo, meine Liebe, sieh mal,
ich habe uns etwas zu trinken mitgebracht. Ich kann schließlich nicht immer nur
auf deine Kosten leben.“ Sie reichte mir die Flasche, behielt das Papier aber
erst einmal in der Hand.
„Komm rein, Angela. Oh, eine
Flasche Prosecco, noch dazu gut gekühlt. Ich denke, die wird nicht alt werden
heute Abend.“
Ich ging mit der Flasche
Prosecco in die Küche, holte zwei universale Cocktailgläser aus dem Schrank und
öffnete die Flasche mit einem leisen Blubb. Angela hatte es sich bereits im
Wohnzimmer bequem gemacht. Ich ging zu ihr und reichte ihr ein Glas.
„Auf dein Wohl, es gibt soviel
zu erzählen – unglaublich.“
Wir beide prosteten uns zu, ich
ließ mich auf die Couch nieder und lehnte mich mit einem großen Stoßseufzer
zurück.
„Erzähl, was ist dir denn
passiert? Hat es wieder mit unserem überaus reizenden Nachbarn zu tun? Ich muss
dir dazu später auch etwas erzählen, aber erzähl du zuerst.“
Ich erzählte Angela alles, was
ich an dem Tag erlebt hatte. Angefangen mit der morgendlichen Begegnung, dem
handgeschriebenen Brief, den ich ihr auch zeigte. Ich erzählte ihr auch, dass
ich verzweifelt versucht hatte sie heute Morgen noch zu sprechen und welche
Panik mich erfasst hatte, als von ihr kein Lebenszeichen kam. Zuletzt
schilderte ich ihr die unwirkliche Situation, die ich erst eine Stunde zuvor
mit dem vermeintlichen Exhibitionisten erlebt hatte. Ich hatte mich richtig in
Rage geredet und dabei auch erzählt, was ich so über die Angst in unserer
Gesellschaft dachte.
Als ich geendet hatte war
Angela zuerst ganz still und dann sagte sie „Du scheinst das Unglück ja
regelrecht magnetisch anzuziehen. Was machst du nur für Sachen? Und das mit
heute Morgen, dass du mich nicht erreicht hast, tut mir sehr Leid. Ich bin
heute schon um sechs Uhr aus dem Haus gegangen.“
„Jetzt wo ich weiß, dass es dir
gut geht, geht es mir auch gleich besser. Ich weiß auch nicht, wieso mir das
Unglück so beständig
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