Gesicht im Schatten: Idylle - Stalking - Mord
zurück in die
Wohnung. Ich schloss die Balkontür hinter mir und stellte fest, dass ich barfuß
auf den kalten Steinen gestanden hatte und nun so ausgekühlt war, dass ich mich
vor lauter Zittern fast nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Das würde
jetzt noch fehlen, eine schwere Lungenentzündung und der Kerl, der mir das
Leben zur Hölle macht, läuft frei herum. Ich setzte mich auf meine Couch und
wickelte mich in die Steppdecke. Ich zog die Decke ganz hoch, so dass nur noch
meine Nase und meine Augen hervorsahen. Mein Blick fiel auf die Sammlung
ungelesener Briefe, die ich Stefan gezeigt hatte und die immer noch auf dem
Couchtisch lagen. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf und ich
wühlte auf dem Couchtisch herum, bis ich seinen Brief von heute gefunden hatte.
Stefan hatte mich gefragt, ob mir etwas an dem Brief aufgefallen sei. Ob er
anders sei, als die anderen Briefe. Warum war mir das nicht sofort auf
gefallen, auch Stefan hätte es auffallen können. Ich blickte auf den Brief den
ich in der rechten Hand hielt und dachte ‚sehr merkwürdig’!
38
Stefan war schon um 6 Uhr ins Präsidium gefahren. Um diese
frühe Uhrzeit war es noch sehr still. Die wenigen verbliebenen Kollegen der
Nachtschicht schlichen übernächtigt wie lichtscheue Gespenster durch die Flure.
Die Gestalten mit den hohlwangigen Gesichtern drückten sich an den Wänden
entlang, in der Hoffnung, nicht doch noch zum Ende ihrer Schicht etwas
aufgebrummt zu kriegen.
Stefan ging zielstrebig in
Markus’ Büro, nahm einen Zettel aus dem Zettelkasten und schrieb in krakeliger
Handschrift ‚Bitte Rü, dringend’ wobei er das dringend doppelt
unterstrich und drei Ausrufezeichen dahinter setzte. Als nächstes war er in die
Cafeteria gegangen, um sich einen Becher Kaffee aus dem Automaten zu holen. Er
nippte daran.
„Bah, scheußliches Zeug“,
murmelte er vor sich hin. Später, wenn der Kiosk offen hatte, würde er einen
ordentlichen Kaffee trinken, vorerst musste dieser reichen. Heiß war er
immerhin.
Er ging in sein Büro und griff
nach einem Plastikbeutel mit Asservaten aus der Wohnung dieser Helena Vávroná
aus Brühl. Als er mit Markus vor ein paar Tagen in ihrer Wohnung gewesen war,
da hatte ihn sein Eindruck nicht getäuscht. Im Wohnzimmer hatte er dieses
starke Gefühl gehabt, dass es ein Geheimnis hütete. Und wie vermutet, war
dieses Geheimnis im Papierkorb versteckt. Die Spurensicherung hatte den Inhalt
des Papierkorbs mitgenommen, der jetzt auf Stefans Schreibtisch lag.
Er machte die
Schreibtischplatte komplett leer und schüttete den Inhalt des Plastikbeutels
auf die freie Stelle. Was er vor sich liegen hatte war ein kleines Puzzle aus
handbeschriebenen Papierfetzen. Diese Papierfetzen würde er später noch
zusammensetzen, was aber am meisten seine Aufmerksamkeit erregte waren zwei
Briefe, die auf dem Schreibtisch der toten Frau gefunden worden waren. Kurze
Briefe nur, noch dazu Kopien von handgeschriebenen Briefen. Beide Briefe waren
unterschrieben mit Rüdiger . Auch ohne die zerrissenen Briefansätze der
Empfängerin dieser Briefe zu kennen, war doch zu vermuten, dass Helena Vávroná
ihren Mörder durch Briefkontakt, vermutlich durch eine Kontaktanzeige, kennen
gelernt hatte. Er legte die beiden Briefe von Rüdiger beiseite und setzte
die Papierfetzen so zusammen, dass er am Ende zwei angefangene Briefe und einen
vollständigen Text vor sich liegen hatte.
Junge Frau, 36, schlank, sucht starken Mann für
Liebes......
Das zweite Blatt, das nun
zusammengesetzt vor ihm lag, entsprach in allen Teilen einer perfekten
Kontaktanzeige. Er musste das nachprüfen, wann diese Kontaktanzeige aufgegeben
worden war. Er las den Text:
Junge Frau, 36, schlank, neu
im Rhein-Erftkreis, sucht männliche Begleitung für Gespräche, Restaurant- und
Kinobesuche und zum Kennen lernen der hiesigen Szene. Sinn für Humor. Foto
bitte beilegen.
Stefan las jetzt noch einmal
sorgfältig einen der beiden Briefe dieses Rüdigers . Es war wohl ein
Antwortbrief auf die Anzeige.
Mitte Siebzig, mit Interesse an Filmen, Lesen,
Spaziergängen. Kavalier der alten Schule, dem Damenbegleitung Freude bereitet.
Zurzeit kein Foto zur Hand, hoffe trotzdem auf ein Zeichen von Ihnen. Erbitte
Antwort erneut in Zeitung. In ergebener Hochachtung Ihr Rüdiger
Dreckskerl, dacht Stefan. So lockt
man auf geradezu hinterhältige Art und Weise Frauen an. Widerlich.
Der zweite
unvollständige Brief war gerichtet an Rüdiger, was
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