Gesichter der Nacht
Ohren dröhnte es. Er taumelte
auf Jenny zu, und sie streckte ihm die Arme entgegen und zog ihn an
sich. Sie küßte ihn, sie flüsterte seinen Namen. Er
streichelte sie, und sie stieß einen ekstatischen Schrei aus. Und
dann versank die Welt um sie beide.
Es war fast dunkel im Zimmer. Im Kamin glimmten nur noch ein paar
Stücke Holz, Asche fast. Jenny rührte sich und legte den Kopf
an Marlowes Schulter. »Wir müssen gehen«, sagte er.
»Es ist nach acht. Die Plätze, die du bestellt hast, sind
sicher schon vergeben.«
Sie umarmte ihn. »Wir haben keine Eile«,
sagte sie. »Die Werkstatt hat auch noch nicht angerufen.«
Marlowe griff nach einer Zigarette und zündete
sie mit dem silbernen Tischfeuerzeug an, das neben dem Kästchen
stand. Er blies Rauch gegen die Decke, und Jenny zupfte an seinem Hemd
und fragte: »Willst du wirklich den Kampf mit meinem Onkel
aufnehmen?«
»Ja, warum nicht?« erwiderte Marlowe.
»Weil du keine Chance hast«, sagte sie.
Sie küßte ihn. »Ich will nicht, daß das alles
böse für dich ausgeht.«
Er lachte. Sie setzte sich auf und fragte: »Was findest du denn so komisch?«
»Deinen letzten Satz«, sagte er.
»Ich glaube nämlich, daß das alles nicht für mich
böse ausgeht, sondern für deinen Onkel.« Er schaute auf
das Leuchtzifferblatt seiner Uhr und sagte: »Jetzt um diese Zeit
dürfte Mac nach London aufbrechen.«
Jenny knipste eine Stehlampe an und betrachtete Marlowe ungläubig. »Was will er in London?«
Marlowe zuckte die Achseln. »Eine Wagenladung
Obst und Gemüse auf dem größten Markt der Welt
verkaufen – Covent Garden. Selbst dein Onkel hat da nicht viel zu
melden.«
Einen Moment lang blickte sie zweiflerisch drein. Dann
umarmte sie ihn lächelnd. »Oh, ich finde, das ist eine tolle
Idee. Ich hoffe, daß es klappt.« Sie stand auf, streckte
sich und musterte sich im Spiegel. Und nun schrie sie leise auf.
»Du meine Güte, ich sehe ja ganz zerrupft aus! Ich muß
mich umziehen.« Sie lächelte und fuhr Marlowe durchs Haar.
»Rück deine Krawatte gerade wie ein ordentlicher Junge und
nimm dir noch einen Drink. Ich brauche nicht lange.« Auf dem Weg
zur Tür fügte sie hinzu: »Ich rufe bei der Werkstatt an
und frage, warum die so herumtrödeln.«
Marlowe schenkte sich einen weiteren Martini ein und
horchte auf den gedämpften Ton ihrer Stimme. Sie telefonierte
draußen auf dem Flur. Einen Augenblick später öffnete
sie die Tür und sagte: »Der Wagen wird in fünfzehn
Minuten hier abgeliefert. Ich bin gleich wieder da.« Sie
schloß die Tür, und Marlowe griff zu einer Illustrierten und
blätterte sie durch.
Nach ein paar Sekunden legte er sie aus
der Hand und dachte über die Ereignisse des Abends nach. Er machte
sich nicht vor, daß er in Jenny O'Connor verliebt war. Das tat
nicht not. Es war eine besondere Art von Beziehung, die er vor Jenny
nur einmal in seinem Leben erfahren hatte. Ein geheimnisvoller,
mächtiger Chemismus… und er ließ eine
körperliche Begierde wachsen, die gestillt werden mußte.
Er blickte wieder auf seine Uhr. Kurz vor neun.
Inzwischen hatte sich Mac wohl auf den Weg gemacht. Marlowe lehnte sich
zurück, starrte gegen die Decke und überlegte, wann der
Jamaikaner in London eintreffen würde. Wahrscheinlich gegen drei
Uhr morgens. Bis Mittag würde er sicher wieder zurück sein.
Und eins war sicher. Der Plan mußte gelingen. Wenn er scheiterte,
war Papa Magellan am Ende. Daran gab es keinen Zweifel.
Die Tür öffnete sich, und Jenny trat ein.
Sie trug ein schwarzes, ärmelloses Strickkleid, das wie angegossen
saß. Lächelnd hielt sie Marlowe eine Pelzjacke entgegen, die
er ihr um die Schultern legte. »Ich frage mich allmählich,
ob ich mir dich leisten kann«, sagte er.
Sie ging zur Wohnungstür, immer noch
lächelnd. »Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich
habe Geld. Jede Menge.«
Einen Moment lang fühlte er sich in seinem
männlichen Stolz gekränkt, aber dann grinste er. Warum nicht?
Es war O'Connors Geld. Draußen hupte es, und als Jenny die
Wohnungstür öffnete, sahen sie einen Mechaniker im
weißen Overall, der neben dem Jaguar stand. »Es dürfte
jetzt eigentlich keine Probleme mit dem Wagen mehr geben, Miß
O'Connor«, sagte er munter.
»Danke, Jerry«, antwortete sie. Sie wandte
sich Marlowe zu. »Du kannst fahren, wenn du magst.« Er half
ihr ins Auto, ging dann auf die andere Seite und setzte sich hinters
Steuer.
Der Jaguar war ein
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