Gesichter der Nacht
Briefkasten werfen.« Marlowe
zögerte einen Augenblick, und der alte Mann sagte: »Und zwar
sofort.«
Marlowe nahm seufzend den Umschlag an sich. »In Ordnung, Papa. Wie Sie wollen.«
Wortlos verließ er den Raum und ging die Treppe
hinunter. Der Briefkasten befand sich ein paar hundert Meter weiter an
der Straße. Er war in eine Mauer eingelassen; ein altmodisches,
rechteckiges Ding, das noch das schmiedeeiserne Monogramm von
Königin Victoria trug.
Marlowe stand vor dem Briefkasten und zögerte
einen Moment. Dann schob er den Umschlag in seine Brusttasche und lief
zum Haus zurück.
Als er beim Tor war, sah er Mac. Er lehnte gegen die
Mauer, machte ein ernstes Gesicht und fragte: »Du hast ihn nicht
eingeworfen, oder?«
Marlowe schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre eine hochgradige Eselei gewesen.«
Mac seufzte. »Ich hoffe nur, du weißt, was du tust, Mann«, sagte er und folgte Marlowe ins Haus.
Maria stand in der Küche und machte Frühstück. Als Marlo
we in den Raum trat, drehte sie sich um, lächelte ihn an und fragte: »Hast du den Brief eingeworfen?«
Marlowe zwang sich, ebenfalls zu lächeln. »Ja, wenn auch wider besseres Wissen.«
Sie strahlte. »Da bin ich aber froh, Hugh. Papa hatte nämlich recht.«
Sie wandte sich wieder zum Herd, und
Marlowe setzte sich an den Tisch. Zorn tobte in ihm. Er wußte,
daß er richtig gehandelt hatte. Gutes Geld verschleudern wegen
der Marotte eines alten Herrn – nein, das kam nicht in Frage.
Marlowe wußte genau, was er tat. Und dennoch grub er in hilfloser
Wut die Fingernägel in seine Handflächen, weil Maria ihm
glaubte, obwohl er sie belegen hatte.
8
Am Nachmittag machte Marlowe die Runde bei den Gärtnern und
zahlte sie aus. Als er in die Scheune zurückkam, saß Maria
auf dem Tisch, ließ die Beine baumeln und sprach mit Mac, der am
Motor von einem der Lastwagen herumbastelte. Marlow stieg aus dem
Fahrerhaus, und sie goß Kaffee in eine Tasse und gab sie ihm.
»Du kommst gerade rechtzeitig.«
Er nahm dankbar einen Schluck von dem Kaffee.
»Das ist gut. Es wird nämlich schon ziemlich kalt
draußen.«
»Wie bist du mit den Gärtnern zurechtgekommen?« fragte Maria.
Marlowe zuckte die Achseln. »Keine Probleme im
Moment. Sie haben ihr Geld gekriegt und sind zufrieden.« Er
deutete mit einer Kopfbewegung auf den Lastwagen. »Ich habe
diesmal eine herrliche Fuhre. Äpfel und Birnen, ein paar Tomaten
und eine Menge Pflaumen.«
Er gab Maria die Liste, und sie nickte voller
Genugtuung. »Wunderbar. All das ist auf den Londoner Märkten
ständig gefragt. Habe ich heute in der Morgenzeitung
gelesen.«
Marlowe wandte sich Mac zu und grinste. »Dann
hast du ja bestimmt keine Schwierigkeiten, diese Fuhre in London zu
verkaufen.«
Bevor der Jamaikaner antworten konnte, warf Maria
rasch ein: »Aber du begleitest ihn doch, Hugh, oder? Es ist viel
sicherer, wenn ihr zu zweit seid.«
Marlowe schüttelte den Kopf und klopfte Mac auf die Schulter. »Er braucht mich nicht.«
Mac lächelte. »Du wärst mir nur im Weg, Mann.«
»Das ist nicht fair, Hugh«, sagte Maria
heftig. »Warum läßt du das Mac alleine machen?«
Sie blickte Marlowe erbost an. »Ich finde, du solltest
mitfahren.«
Marlowe versagte sich eine wütende Antwort und
erwiderte unbewegt: »Es ist mir egal, was du findest, mein Engel.
Ich fahre nicht nach London. Ich habe meine Gründe dafür, und
die gehen dich nichts an.«
Marias Gesicht war blaß, und auf ihren Wangen
brannten zwei rote Flecke. Sie öffnete den Mund, um etwas zu
sagen. Aber Marlowe drehte sich barsch um, ging aus der Scheune und
lief über den Hof aufs Haus zu.
Als er in Papa Magellans Zimmer trat, saß der
alte Mann aufrecht in den Kissen und las Zeitung. Er blickte über
den Rand seiner Lesebrille hinweg und meinte: »Sie sehen so aus,
als wären Sie furchtbar böse, mein Junge. Was ist denn
passiert?«
Marlowe zündete sich eine Zigarette an und lief
im Zimmer hin und her. »Ihre Tochter«, sagte er. »Sie
ist wieder in Rage, weil ich Mac allein nach London schicke.«
Der alte Mann nickte. »Und da sie eine Frau ist,
möchte sie natürlich wissen, warum Sie ihn nicht
begleiten?«
Marlowe ließ sich seufzend in einem Sessel
nieder. »Warum kann sie sich nicht mit einer Andeutung
begnügen – wie Sie und Mac und sich um ihre eigenen
Angelegenheiten kümmern?«
Magellan lächelte. »Machen Sie mal den
Schrank da auf, mein
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