Gesichter im Nebel (German Edition)
sie lehnten an einem Gestell, das dem Fischer zum Aufhängen seiner Netze diente. Schnell nahm ich die Ruderblätter an mich und schleppte zudem eines der Netze hinter mir her. Ich wollte mich später darin einwickeln, um mich zu wärmen. Es war zwar keine Wolldecke, aber besser als nichts allemal. Dann bändselte ich das Boot los, sprang hinein und vertraute mich weiter der inzwischen kräftigen Strömung an. Ich brauchte nicht zu rudern, so sparte ich meine bescheidenen Kräfte für später auf See. Einen der Riemen benutzte ich zum Steuern.
Bis dahin also war mir die tollkühne Flucht gelungen. Diese verdammten Engländer würden sich wundern, wo ich abgeblieben sein könnte. Ja, dem ehemaligen Steuermann von Schwerthand macht man so leicht nichts vor!
Dem guten Fischer dankte ich innerlich und bat um Verzeihung für meinen Diebstahl. Aber sein Boot hatte mir erst einmal das Leben gerettet und er würde es später sicher irgendwo am Strand finden, sorgfältig angebänselt. Mehr konnte ich wahrlich nicht tun.
Von den einfachen Leuten an der Küste hatte ich nichts zu befürchten, eher im Gegenteil. Ihnen war alles recht, was sich gegen die verhassten Besatzer richtete. Und das brachte mich auf die Idee, in Baltimore erst einmal einen Abstecher an Land zu wagen, bevor ich ganz auf die See hinausfuhr.
Ich kannte da eine abgelegene Hütte. In ihr hauste damals die dicke Grit, ein rotblondes Weib um die vierzig. Ihr Mann war auf See geblieben und sie versuchte, sich bettelarm durchs Leben zu schlagen. Ab und an nahm einer der Seeleute ihre Liebesdienste in Anspruch, was sie auch gerne tat, denn es besserte ihr schmales Budget auf. Sie schien fast dankbar für Gesellschaft zu sein. Ich kannte sie schon viele Jahre und vertraute ihr.
Einmal bat ich sie, für mich ein kleines Kästchen aufzubewahren. Daran erinnerte ich mich in jener Nacht. In ihm hatte ich einige Wertsachen deponiert, gewissermaßen als Notnagel für den Ernstfall. Und der war jetzt, weiß Gott, eingetreten.
Ich näherte mich dem Anwesen. Die Luft schien rein und es sah ganz so aus, als habe sie keinen ihren diskreten Besucher bei sich. Ihre Freude war unbeschreiblich. Schließlich hatte sie von meiner Festnahme gehört und konnte sich denken, was mich für ein Schicksal erwartete. Doch nun stand ich leibhaftig vor ihr. Sie wollte mir sogleich etwas kochen, doch ich musste zu meinem Leidwesen ablehnen, da die Zeit viel zu kostbar war. Nachdem sie mich mit einem Tuch trockengerubbelt hatte, händigte sie mir sofort die kleine Schatulle aus und ich gab ihr zum Dank ein Goldstück, für eine so arme Person ein kleines Vermögen.
Auch erzählte sie mir, was sich seinerzeit im Vorfeld der Vernichtung von Schwerthand auf der Insel abgespielt hatte. Es war nicht zu fassen, ein dort nach einem Schiffbruch hängengebliebener, französischer Matrose mit Namen Jean-Pierre hatte sich in die schöne Frau des Piratenfürsten verknallt und dessen geheimes Liebesnest an die englische Garnison in Baltimore verpfiffen. War schon das kein vornehmer Charakterzug, so hielten sich die meisten Einwohner von ihm fern. Es hieß, dass ihn selbst bei schönstem Sonnenschein ein kalter Nebel umgab.
Als sich ihre Schiffe auf die Lauer legten, war er bei Schwerthands Geliebter vorstellig geworden und wollte sie dazu pressen, mit ihm aufs Festland abzuhauen, da – so versicherte er – natürlich auch ihre Tage gezählt seien. Denn ohne Zweifel wäre sie als Komplizin des Freibeuters verhaftet worden. Sie beschimpfte den liebestollen Franzmann als feigen Verräter. Sie würde lieber mit ihrem Geliebten sterben, als einen solchen unwürdigen Handel eingehen. Als der Freier blind vor Leidenschaft und Ärger über sie herzufallen versuchte und sie seinen Wünschen gefügig machen wollte, kam es zu einem Handgemenge. Er tötete sie dabei durch einen Dolchstoß. Wenn ich sie nicht haben kann, so soll sie auch keinem anderen gehören, das war offensichtlich seine Motivation.
Die kleine Tochter, die sich bei seiner Ankunft versteckt hatte, musste die grausige Tat mit ansehen und flüchtete später zu einem der Fischer. Von dort gelangte sie, soviel ich weiß, über dessen Verwandtschaft in die Gegend von Galway in der Grafschaft Connacht. Mehr wisse sie auch nicht zu sagen. Von dem versteckten Schatz meines Kapitäns schien Grit nichts zu wissen, woraus ich schloss, dass dies auch für die übrige Bevölkerung zutraf.
Sodann machte ich mich in meinem Traum mit Fortsetzungen
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