Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
Vom Netzwerk:
genau in ihren Ausführungen, stockte immer wieder, als wollte sie keine Fehler machen, sah auf der Suche nach der passenden Bezeichnung mit durchdringendem Blick an ihm vorbei. Sie trug das Haar noch kinnkurz, den unauffälligen Pagenschnitt der höheren Töchter, der nicht zu ihrer mitreißenden Lebendigkeit passte. Sie hatte einen breiten Mund, der sich ständig zu bewegen schien, und er hatte sie angestaunt und sich irgendwann über den Tisch gebeugt und sie geküsst, und sie hatte gelacht, bevor sie seinen Kopf so fest an ihren gepresst hatte, dass seine Nase schmerzte.
    Malte sprang im Schlafanzug auf Berits Schoß und hielt ihr ein Blatt so nah vors Gesicht, dass sie nichts erkennen konnte.
    »Was ist das?«
    »Ein Auto, ein Haus, ein Hund?«, sagte sie.
    »Ein Hubschrauber, der auf einer Wiese landet.« Er zeigte Yann die Zeichnung, der anerkennend nickte, dann hielt er sie Gabor kurz hin und raste ins Haus zurück, wo Nele schon auf ihn wartete, um ihn ins Bett zu bringen.
    Es war dunkler geworden, aus der Erde stieg herbstliche Kühle, und in der Ruhe, die Maltes aufgekratzte Raserei hinterlassen hatte, schienen sie auf unangenehme Weise zusammenzurücken. Yann blickte gedankenverloren in den Garten, während Berit die Flamme des Feuerzeugs an den Docht einer Kerze hielt.
    »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Berit zu Yann. Gabor glaubte, er hätte etwas nicht mitbekommen, als ihm klar wurde, dass sich Berit auf etwas bezog, worüber die beiden vor seinem Eintreffen gesprochen haben mussten.
    »Wieso ich in Freiburg mit der Phantomschmerzforschung aufgehört habe?« Yann lachte. »Schon so lange her. Ich glaube, ich konnte die Verstümmelten nicht mehr sehen. Beinstümpfe und Armstummel. Irgendwann hängt dir das zum Hals raus.« Er genoss den Moment der Verwirrung, bis Berit merkte, dass er einen Witz gemacht hatte. Er rieb die Hand über seine Augen, als wäre er plötzlich müde. »Phantomschmerz bedeutet Spiegeltherapie! Und Spiegeltherapie heißt: Zauberei. Eine simple Kiste, ein eingebauter Spiegel, und den Augen kommt es vor, als wäre die fehlende Hand wieder da. Aber die Frage ist doch: Warum soll ein fehlendes Organ eigentlich nicht schmerzen? Diese Leute haben sich aufgeführt wie Magier. Das war mir zuwider.«
    »Aber man mildert doch Schmerzen. Ist das kein ausreichender Grund?«, fragte Berit.
    »Auch die Schönheitschirurgie mildert die Schmerzen einer Illusion. Es ist doch so: Jede Illusion bereitet früher oder später Schmerzen.«
    »Ich weiß nicht, ob ich deiner Meinung bin«, sagte Berit zögernd.
    Gabor trank sein Glas in einem Zug leer, stand auf und ging in die Küche. Er stellte das Geschirr auf die Arbeitsplatte, als Berit von hinten ihre Arme um seinen Bauch schlang und ihre Wange an seinen Rücken drückte.
    »Alles in Ordnung?«
    Er wandte sich zu ihr.
    »Ich kann das einfach nicht mehr hören: Jede Illusion bereitet Schmerzen! Und die Herablassung. Warum arbeitet er dann wieder an einer Universitätsklinik, wenn ihm das alles nicht passt?«
    »Du kennst ihn doch«, sagte sie einlenkend und gab ihm einen schnellen Kuss. Sie nahm eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank, während er die Teller in den Geschirrspüler räumte, doch bevor sie wieder nach draußen ging, sagte sie: »Vergiss die Kalamari nicht.«
    »Was?«
    »Und die Sonnencreme.«
    Berit warf ihm einen Blick zu, den er nicht verstand, und dann hörte er sie Yann gut gelaunt fragen: »Was hat dich eigentlich zu solch einem Zyniker gemacht?«
    Er stand gebeugt neben dem Geschirrspüler, einen dreckigen Teller in der Hand, während sich seine Kopfhaut zusammenzog, als hätte sich eine Eishand auf seinen Schädel gelegt. Kalamari. Sonnencreme. Wie in Zeitlupe drang die Erkenntnis durch den Nebel seiner Begriffsstutzigkeit. Er selbst hatte die Worte auf eine der Karten an Berit geschrieben. Eine der Karten, die er dem Mann in den Laster hinterhergeworfen hatte, musste angekommen sein.
    Einen Lidschlag später saß Gabor im Schlafzimmer auf ihrem Bett und starrte auf die Urlaubsansicht, die an Berits Nachttischlampe lehnte. Vorn der berühmte Felsen und ein Ausschnitt des beliebtesten Sandstrandes. Er drehte die Karte um und las, was er mit schwarzem Rollerball eines Morgens bei Prekas am Hafen geschrieben hatte.
    Der Sturm hat über Nacht Stühle von der Eisdiele ins Meer gerissen. Zettel aus der Hosentasche: Kalamari oder, falls nicht vorhanden, Barbe. Zitronen. Und so weiter und so fort. Sonnencreme mit

Weitere Kostenlose Bücher