Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
Vom Netzwerk:
Mund.«
    »Wie eine Rose im Mund«, wiederholte er. Ihr Lachanfall war schon wieder vorbei. Sie hatte sich zur Wand gedreht. Zwischen T-Shirt und dem Bund ihrer Jeans sah ein Stück ihres Rückens hervor, noch immer tief gebräunt, als hätte sie Monate am Strand verbracht.
    »Ich weiß, dass du es dir jetzt nicht vorstellen kannst, aber ich verspreche dir: Es geht vorüber.«
    »Sprecht Ihr euch eigentlich ab?«
    »Wie bitte?«
    »Mama und du.«
    Gabor schwieg.
    »Kommst du? Es gibt Essen.«
    Sie aßen unter einem hohen dunkelnden Himmel auf der Terrasse, während eine Meise auf dem Holzbrett der Schaukel Körner pickte, die Malte oder Berit dort ausgelegt hatten.
    Malte staunte mit offenem Mund und wollte plötzlich von Yann wissen, ob es wehtue, wenn man beim Kiteboarden oder Fallschirmsurfen, wie Malte sagte, nach den Sprüngen aufs Wasser fällt.
    »Nicht so dolle.« Yann pickte, die Unterarme auf den Tisch gestützt, das nächste Fischstück aus dem Risotto und versprach, ihn das nächste Mal mitzunehmen, und entlockte mit seinen Campingbusgeschichten sogar der lustlos in ihrem Essen stochernden Nele einige Lacher. Als die Kinder gegangen waren, lehnte Yann sich zurück und kramte gemütlich nach seinem Tabak, als hätte es ihren Konflikt vor einigen Tagen nie gegeben. Während er eine Zigarette drehte, schabte sein Pferdeschwanz mit leisem Kratzen über seinen Hemdkragen. Bronzene Haut und die Zufriedenheit des Sonntagskindes. Er sah noch fast genauso aus wie zu Studentenzeiten, nur dass seine Züge kantiger geworden waren und sich zwei tiefe Falten von den Nasenflügeln zu seinen Mundwinkeln gruben. Das unangenehme Ziehen in der Magengegend machte sich wieder bemerkbar. Gabor füllte sein Glas und trank den Wein in kleinen Schlucken wie Medizin, schaute so lange in die Buchen hinter der Hecke, bis der Ärger auf Yann sich in Dankbarkeit für Berit verwandelte, die das Gespräch gut gelaunt am Laufen hielt.
    »Glücksfee, Therapeutin, Anwalt«, sagte sie gerade. »Was mich erstaunt: Die meisten werden misstrauisch, haben Angst, dass mit dem Geld eine Verpflichtung verbunden ist oder etwas zum Vorschein kommt, das ihre Welt ins Wanken bringen könnte.«
    »Was denn?«, fragte Yann.
    »Was weiß ich? Dass der Vater noch eine zweite Familie hatte. Oder der Großvater sich als Kriegsverbrecher entpuppt. Oder dass sie selbst adoptiert sind. Dabei sind die Verstorbenen entfernte Verwandte.«
    Yann blickte Berit an, ruhig, mit vor Überraschung leicht geweiteten Augen, wie er es bei Patienten tat, um ihr Vertrauen zu gewinnen.
    »Und wieso Anwalt?«, fragte er.
    »Sobald ich ihre Bedenken zerstreut habe, wollen sie alles so schnell wie möglich hinter sich bringen, als könnten sie sonst ihre Erbschaft wieder verlieren.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte Gabor. Seine Stimme klang forscher als beabsichtigt. »Woher weißt du das alles? Sagen sie dir das? Sprecht ihr darüber oder behauptest du das nur, weil du so selbst reagieren würdest?«
    Berit zuckte resigniert mit den Schultern. »Siehst du?«, sagte sie zu Yann. »Er mag meine Arbeit nicht. Wie das Wühlen in dreckiger Wäsche. Er findet das Ganze unanständig.«
    »Das habe ich nie behauptet.«
    »Das wäre auch noch schöner«, rief Berit lachend und rückte dabei näher an ihn heran. Er spürte ihre warme Brust an seiner Seite, während sich ihre Hand fest wie ein Ring um seinen Oberarm schloss. »Ach«, machte sie, ließ plötzlich von ihm ab und angelte den letzten Klacks Mousse au Chocolat aus der Glasschale, gleichgültig oder gekränkt.
    Ihre Eltern waren beide tot, aber auch als sie noch lebten, hatte sie nur selten über ihre Familie gesprochen, nicht weil ihre Kindheit unglücklich gewesen wäre, sondern weil sie in unspektakulärer Harmonie verlaufen war, über die es nichts zu erzählen gab. Sie war in einem Dorf nahe der dänischen Grenze aufgewachsen, als einzige Tochter eines Immobilienmaklers, der mit seiner Familie nach Düsseldorf zog, als Berit vierzehn war. »Die einzige Herausforderung meiner behüteten Kindheit bestand darin, mich gegen den Spott meiner neuen Schulkameradinnen zur Wehr zu setzen und die schnell wechselnden Regeln des Modediktats zu durchschauen«, hatte sie bei einem ihrer ersten Treffen ihre Jugend knapp zusammengefasst.
    Mit plötzlich aufwallender Zärtlichkeit dachte Gabor an den Abend in einem Kölner Biergarten: Berit hatte von dem raffinierten Farbkonzept der Meisterhäuser in Dessau geschwärmt. Sie war

Weitere Kostenlose Bücher