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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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auf das Spielzeugchaos. Memorykärtchen auf dem Teppich, Bücher, die Spielmatratze wölbte sich über einem Legohaufen. Sein Sohn schlief, die Decke ans Fußende gestrampelt. Neles Tür war geschlossen wie immer. Etwas knarrte im Gebälk, als er die Tür zum Schlafzimmer öffnete, hineinschlich und sie wieder schloss. Es war der größte Raum auf der Etage, nur mit wenigen Möbeln bestückt. Die Schrankwand, ein einzelner Stuhl, sonst nichts als das Bett an der Stirnseite, von dem jetzt ein Rascheln kam und das Atmen seiner Frau. Im Halbdunkel sah er ihre Hand, die sich ihm entgegenstreckte.

5
    Es begannen Tage anstrengungsloser Selbstverständlichkeit. Ihm war, als hätte er etwas Altes, Verbrauchtes aus seinem Leben geschoben, etwas beendet, das jahrelang auf falschen Voraussetzungen beruht hatte. Schon lange hatte sie nicht mehr verbunden als die Erinnerung an durchfeierte Nächte und die erschöpfenden Tunnelphasen der Paukerei, an die Wanderungen und Radtouren durch den Hochschwarzwald. Die Umstände hatten sie zusammengeführt und sie nach dem Studium wieder auseinandergeweht. Er hatte sich vor allem geschmeichelt gefühlt, als Yann ihn um Arbeit gebeten hatte, es hatte ihm gefallen, helfen zu können, es hatte ihm erlaubt, sich zu zeigen, wie er sich sehen wollte: erfolgreich, einflussreich, großzügig. Yann und seine Geschichten. Er hatte bei ihnen gerastet. Er hatte einen Hauch von Abenteuer an ihren Tisch mitgebracht, die Frische der Ungebundenheit, und war dafür mit Brot und Wein beköstigt worden. Doch in ihrem Lachen über seine Anekdoten war immer auch Schauder mitgeklungen, ein Schrecken angesichts seiner Ruhelosigkeit, die ihr eigenes Leben in behaglicherem Licht hatte erscheinen lassen. Sie waren einen Vertrag eingegangen, der längst seine Gültigkeit verloren hatte. Einige Tage lang begleiteten ihn solche Gedanken, am Rand seines Bewusstseins bewegte er sie aus Pflichtgefühl hin und her. Er erwachte im Morgengrauen, ausgeruht, schwamm, bevor er in die Klinik fuhr. Er sprach mit niemandem über die Sache, aber alle schienen es schon zu wissen. Bei der nächsten Besprechung der Arbeitsgruppe erschien Yann nicht und niemand fragte nach ihm.
    Lavinia begann die Experimente und Übungen mit Karsten Sieverth. Sie schloss die Folgen des Hirntraumas als Ursache der Prosopagnosie aus. Sieverth war weder farbenblind noch ließ sich eine Beeinträchtigung der räumlichen Wahrnehmung nachweisen. Er konnte sehr wohl zwischen Gesichtern und Häusern oder Autos unterscheiden und schnitt überdurchschnittlich gut bei den Tests ab, die nach der Wahrnehmung von emotionalem Ausdruck, Geschlecht und Attraktivität von Gesichtern fragten. Als Lavinia die Zeiten verglich, die er zur Identifizierung von Gesichtern und anderen Objekten benötigte, glühten auf dem Bildschirm nur die Areale auf, die fürs Sehen allgemein, aber nicht jene, die für die Gesichtserkennung zuständig sind. Es bestand kein Zweifel: Karsten Sieverth litt an angeborener Prosopagnosie. Und nichts war von seiner Pampigkeit geblieben. Als er mit einer EEG -Haube in einem abgedunkelten Untersuchungsraum lag, wirkte er wie ein Mönch, der mit ehrfürchtiger Gefasstheit das Ausmaß begriff, in dem er sich seit der Geburt in die Tasche log.
    »Alles ist irgendwie weg«, sagte er.
    »Alles ist noch da«, antwortete Gabor. »Sie nähern sich nur der Wirklichkeit. Der Wirklichkeit Ihrer Wahrnehmung.«
    »Die Wirklichkeit ist aber furchtbar.«
    »Darf ich?« Lächelnd reichte Lavinia ihm das Brillengestell, in dessen Rahmen kleine Monitore statt Gläser steckten, drückte danach beruhigend Sieverths Hand.
    Es taten sich überraschende Löcher in seinen eng mit Terminen gefüllten Tagen auf. Das neue Semester hatte noch nicht begonnen, es fielen kurzfristig Besprechungen aus, Berichte gingen ihm schneller als sonst von der Hand. In der geschenkten Zeit fand er sich auf einer Bank unter einer Kastanie im Klinikpark wieder, gedankenverloren eine Krähe beim Zerrupfen eines Eispapiers beobachtend, oder in einem der neu eröffneten Cafés mit Bänken aus grobem Holz statt Tischen, wo er, überzuckerten Eiskaffee aus einem Plastikbecher schlürfend, Zeitung las. Als er in der Kantine einen blutjungen Stationsarzt beruhigte, der sich Vorwürfe machte, weil eine seiner Patientinnen verstorben war, stand plötzlich Overkamp neben ihnen, eine riesige Sporttasche in der Hand.
    »Schmeckt der so, wie er aussieht?« Overkamp blickte auf den matschigen

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