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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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wollen.«
    »Vielen Dank!«
    »Ach, Frau Seidler«, rief er. »Können Sie mir einen Gefallen tun?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Es kommt vor, dass sich Medizinstudenten Symptome der Krankheit einbilden, die sie gerade studieren. Ist Ihnen so etwas auch mal passiert?«
    Sie musterte ihn argwöhnisch. Er an ihrer Stelle hätte nicht geantwortet.
    »Ich bin mal zu einer Neurologin im Wedding gegangen und habe Sachen gesagt, die sich nach MS angehört haben.«
    »Und?«
    »Die Ärztin hat mich gefragt, ob ich Medizin studiere.«
    »Danach waren die Symptome weg?«
    »Natürlich. Ich bin aus der Praxis spaziert wie neugeboren. Der Wedding war noch nie so schön.«
    Er war gerührt von ihrer Offenheit, aber natürlich dachte sie, er mache sich über sie lustig. Verärgert sprang ihre Augenbraue in die Höhe.
    »War’s das?«
    Es wirkte. Seine Panik verflüchtigte sich. Er wartete, und nach einer Weile kam die Erinnerung wieder. Die schwarzen Locken, überzogen von Staub. Die dunklen Augen unter den starken Brauen, zwischen denen zwei Falten in die Stirn wuchsen. Die Hämatome waren weg, dafür sahen die ungewöhnlich violett verfärbten Lippen aus, als würde er frieren. Er fühlte das Gesicht, den Willen, der in ihm steckte, die Wut, an die Gabor sich schon gewöhnt hatte wie an die Anwesenheit eines unsichtbaren Begleiters.

7
    Berlin hatte ihn nie interessiert. Zu groß. Uferlos. Als sie vor fast zehn Jahren hierhergezogen waren, hatte er schon vorher gewusst, wo er leben wollte, irgendwo in Waldnähe am südwestlichen Rand der Stadt. Ein kleines Haus in einer historischen Siedlung, Mitte der Zwanzigerjahre von einem Architekten entworfen, der später zu Weltruhm gelangte, bevor er Anfang der Dreißigerjahre nach Amerika emigrierte. Sprossenfenster, quadratische Zimmer, im Treppenhaus ein geschwungener Handlauf aus dunkel schimmerndem Holz. Als er den Kaufvertrag unterschrieb, begann ein neues Leben. Eine Person, auf die er voller Ungeduld gewartet hatte, trat endlich aus ihm hervor, und seine Arbeit bekam die Dringlichkeit eines Auftrags. Die Familie, die Klinik. Alles andere blendete er aus. Der Weg zum Kindergarten und zur Schule, die Spiel- und Sportplätze der Umgebung. Die immer gleichen Kinos und drei, vier Restaurants, in denen sie bald begrüßt wurden wie alte Freunde. Hin und wieder gingen sie ins Theater, zu einer in den Zeitungen gefeierten Ausstellung, Berit mochte die Aufregung, die Nervosität in den Foyers, die Gewissheit, zur richtigen Zeit am rechten Ort zu sein, und es machte ihn froh, sie glücklich zu sehen, aber insgeheim genoss er das Gefühl, nicht dazuzugehören. Das hysterische Lachen vierzigjähriger Männer, die sich wie Zwanzigjährige in hautenge Röhrenjeans zwängten. Exaltierte Frauen mit kleinen Hunden im Arm. Er konnte ihre Aura des Komplizierten förmlich sehen, den Kokon der Überempfindlichkeit, der früher oder später aufbrechen würde. Er liebte seine Welt der kurzen Wege, das Licht am Morgen auf den Blättern der Birke, die Spaziergänge zu dem Spielplatz mit der Seilbahn, die Runden um die Krumme Lanke, die immer gleichen Sonntage am Schlachtensee, und die einzige lange Strecke, die er auf sich nahm, war die tägliche Fahrt in die Klinik, ins Zentrum der Stadt. Sein Berlin war ein Dorf – und ein Panorama, das ihm zu Füßen lag. Ihm gefiel die Vorstellung, in der Mitte des Geschehens seiner Arbeit nachzugehen, aber er hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, was sich dort unten abspielte, während er mit einem Radiologen in einem abgedunkelten Raum vor einem Lichtkasten stand und das Schnittbild eines Gehirns nach Auffälligkeiten absuchte. Jetzt löste allein das Ausmaß der Stadt Beklemmungen in ihm aus, wenn Gabor während der Arbeit kurz ans Fenster trat und über den Tiergarten und die nördlichen Bezirke blickte, nach den Schneisen zwischen den Häuserzeilen suchte und an den Verkehr auf den Hauptschlagadern dachte, an das unübersichtliche Gewusel der Fußgänger um die Eingänge der U-Bahnhöfe und das in der Tiefe liegende Netz aus Wegen.
    Gabors Konzentration ging nicht verloren, aber die Kraft der vollen Aufmerksamkeit. Während er Patienten zuhörte, machte sich ein Automatismus in ihm bewusst, was sie vorher getan hatten, nahm vorweg, was sie nach dem Gespräch tun würden. Der gegenwärtige Moment brach auf und seine Grenzen verschwammen und hinterließen in ihm eine dauerhafte Anspannung und Gereiztheit.
    Die Luft roch nach feuchter Erde, als Gabor eines

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