Gesichter: Roman (German Edition)
Abends aus dem Auto stieg und wenige Meter vor der Tür abrupt stehen blieb. Durch das Fenster sah er einen Mann in ihrem Wohnzimmer sitzen und schräg gegenüber Berit. Sein schwarzes Haar, die Schultern wie unter Spannung angezogen. Der Mann schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück und schien auf Berit einzureden. Ihr Oberkörper war kerzengerade, als hätte er ihr verboten, sich zu bewegen, und auf ihrem Gesicht lag ein gequälter Ausdruck.
Gabor stand da, unfähig etwas zu tun. Er fingerte nach seinem Mobiltelefon und rief sie an. Er hörte das Klingeln des Telefons leise durch die Scheibe. Berit drehte kaum merklich den Kopf, während der Mann sich lauschend aufrichtete und die Hand hob, als geböte er Berit, sich still zu verhalten. Das Telefon klingelte wieder. Gabor konnte nicht glauben, dass er dies gerade erlebte, die Luft um ihn schien zäher, wich wie eine Flüssigkeit vor ihm zurück, während er zur Tür schlich. Er passte das nächste Läuten ab, schob im selben Moment den Schlüssel ins Schloss, sodass drinnen nichts zu hören sein würde. Einen Augenblick später stürmte er das Wohnzimmer. Berit blickte ihn verwundert an. Ein Mann in einem braunen, speckig glänzenden Vertreteranzug drehte sich nach ihm um. Er hatte ein breites, teigiges Gesicht und einen spärlichen Kranz schwarz gefärbten Haares auf dem Kopf. Prospekte eines Telefonanbieters verteilten sich über den Tisch.
»Wir könnten einiges sparen, wenn wir den Anbieter wechseln«, sagte Berit und warf ihrem Gast dabei einen entschuldigenden Blick zu.
Doch er war in der Nähe, das spürte Gabor, so wie man das Meer spürt, schon Kilometer bevor man die Küste erreicht, so wie man weiß, dass es im Laufe des Tages regnen wird. Seine Anwesenheit verdichtete sich, wenn Gabor den Fußweg vor ihrem Haus fegte, auf den wenigen Schritten von der Tür zu seinem Auto, überhaupt in der Nähe ihres Grundstücks, verlor sich im nächsten Moment, um ihn plötzlich während der Arbeit zu überraschen.
Inmitten einer Untersuchung erstarrte Gabor, die Pinzette mit dem Wattebausch in der Hand, während die Patientin ihn erschrocken ansah, weil sie sein ungewöhnliches Verhalten auf ihren Zustand bezog. Im Gang, der zur Tiefgarage führte, blieb er stehen, weil er hinter sich Schritte hörte, aber es war nur ein Techniker, der grüßend an ihm vorüberging. Er verbot Malte, auf die Straße zu gehen. »Du spielst hier, wo ich dich im Blick hab!« Eingeschüchtert schaukelte Malte vor sich hin, während Gabor ihn von der Terrasse beobachtete und versuchte, ihm kraft seiner Gedanken einen unsichtbaren Schild zu verpassen, einen Mantel der Unverletzlichkeit.
Nachts wachte er auf und glaubte, etwas gehört zu haben, während Berit friedlich neben ihm schlief. Das erste Mal erhob er sich und schlich durchs Haus, in den Nächten danach zwang er sich, liegen zu bleiben, weil er ahnte, dass er nicht zu weit gehen, dass er nicht jedem Impuls folgen durfte, wenn er nicht die Kontrolle verlieren wollte. Er würde mit Timothy auf der Insel sprechen, er kam plötzlich auf die Idee, als er eines Abends vom Schreibtisch aufsah und den Kirschbaum auf dem Grundstück der Hauensteins gegenüber sah. Timothy war weit weg, seine ironische Art nahm den Dingen jede künstliche Dramatik. Doch als er, schon das Telefon in der Hand, daran dachte, was er sagen würde – »Ich habe in Patras beobachtet, wie sich ein Flüchtling auf die Fähre geschlichen hat. Hör zu, es ist kompliziert zu erklären, aber jetzt ist er hier. Jetzt schleicht er um mein Haus, und ich weiß nicht, was ich machen soll« –, klang das so fantastisch und harmlos zugleich, hatte, obwohl es der Wahrheit entsprach, so wenig mit der Wirklichkeit zu tun, dass er das Telefon wieder weglegte. Er konnte es allein schaffen. Er musste nur die Strategie ändern. Statt sich zu verstecken, musste er ihm entgegengehen. Er würde ihn hervorlocken, indem er sich zeigte.
Die Karte war, wie er anhand der Ziffernfolge im Internet ermittelte, in Charlottenburg abgestempelt worden. Das Postamt war in einem mächtigen Gründerzeitbau untergebracht und hatte schon geschlossen, als er dort ankam. In den Straßen gab es Restaurants, Bistros, aber vor allem Antiquitätenhändler. Biedermeierschränke, riesige Spiegel mit verschnörkelten Rahmen, Stühle, Tische, Teppiche, ganze Einrichtungen lagerten noch auf den Bürgersteigen, rechts und links der offenen Türen, durch die Musik nach draußen drang.
Er erwartete
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