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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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zu wünschen. Im Wagen in der Tiefgarage zog er die Blätter seines Vortrags aus der Tasche, und als er die ersten Sätze überflog, strömte die Sicherheit in ihn zurück.
    Als er nach Hause kam, war Berit noch in Hildesheim, und Nele, die Malte vom Kindergarten abgeholt hatte, wartete ungeduldig auf sein Eintreffen, weil sie zum Training wollte. Er spielte mit seinem Sohn Memory und las ihm nach dem Essen Pettersson und Findus vor, wurde aber, während er mit ihm auf dem Sofa lag, schlagartig so müde, dass ihm die Buchstaben vor den Augen verschwommen, bis Malte ihn stieß und »Weiterlesen!« rief. Als sein Sohn endlich im Bett lag und Gabors Hand schon auf dem Lichtschalter lag, krähte er: »Durst«.
    »Aber schnell.«
    Malte tapste in die Küche hinunter, und Gabor hörte das Rauschen, mit dem das Wasser ins Spülbecken traf. Während Malte durch den Flur zurück in sein Zimmer huschte, fing Gabor das spitzbübische Lächeln auf, seinen Stolz, das Zubettgehen um weitere Minuten verzögert zu haben.
    »Kommt Mama nachher zu mir, wenn ich schlafe?«
    »Bestimmt. Und sie gibt dir einen Gutenachtkuss.«
    »Einen Schlafkuss! Denn ich schlafe dann doch«, rief Malte.
    Gabor machte das Licht aus. Die plötzliche Stille schien die Luft zu dehnen, die Leere um ihn herum greifbar zu machen. Er ging die Treppe hoch unters Dach, weil er, während Malte Zähne geputzt hatte, das Schlagen eines offenen Fensters glaubte gehört zu haben, und bemerkte schon auf den Stufen, dass in Berits Zimmer die Blumenvase umgekippt neben der Kommode lag. Eine Lache verteilte sich auf den Dielen. In der Tür blieb er verwundert stehen: Blätter, Stifte und Gefäße waren vom Schreibtisch gefallen, ein Kissen vom Sofa gerutscht, und überall lagen graue Vogelfedern und Flaum, aber ein Tier war nirgends zu entdecken. Er stellte sich vor, wie der Vogel panisch herumgeflattert und immer wieder gegen das Fenster über dem Schreibtisch gestoßen war, bevor er durch den Spalt den Weg nach draußen wiedergefunden hatte.
    Er setzte sich aufs Sofa und starrte auf die Wasserlache und die Federn und die Äste, die aus der Vase gerutscht waren, zu müde, um sie aufzuheben. Er war selten allein in Berits Zimmer. Die Ordner im Regal waren säuberlich mit den Namen der Verstorbenen beschriftet, nach deren Erben sie suchte. Eine kleine Musikanlage, eine Handvoll CD s. Purcell, Verdi, Cesária Évora. An der Wand Fotos von den Kindern.
    Er musste eingeschlafen sein, denn als er irgendwann mit klopfendem Herzen aufschreckte, hatte der Himmel sich verdunkelt und für einen Moment wusste er nicht, wo er sich befand. Dann hörte er die Klingel der Haustür ein zweites Mal, schriller, als drückte jemand den Daumen fest auf den Knopf. Er wartete, bis der Schwindel nachgelassen hatte, und schlich hinunter. Als Gabor in der Diele vor der Haustür stand, die Hand schon an der Klinke, hörte er unverständliches Gemurmel. Dann hämmerte jemand gegen die Tür. Gabor bewegte sich nicht, den Schuhberg der Kinder im Blick, als plötzlich Tritte gegen das Holz krachten. Wie von Sinnen stieß jemand mit dem Fuß gegen das Türblatt, das jedes Mal erzitterte und einen hohen, sirrenden Ton von sich gab, doch mit einem Mal ließen die Stöße nach, und er vernahm wieder das leise Gemurmel und Schritte, die sich entfernten.
    Im nächsten Moment war Gabor in der Küche und ließ das Rollo der Terrassentür herunterkrachen. Er rannte ins Wohnzimmer, sicherte auch dort die Tür und löschte das Licht. Regungslos saß er in der Dunkelheit, sah draußen im Garten den Aprikosenbaum und die Balken der Schaukel, aber nichts passierte. Als er aufstehen wollte, weil er ein Geräusch aus Maltes Zimmer gehört hatte, bemerkte er den Umriss einer Gestalt. Sie löste sich aus dem Schatten einer Buche, stieg mit einem großen Schritt über den niedrigen Zaun, kam über den Rasen näher, stand schon auf der Terrasse und spähte, die Hände an die Scheibe gelegt, ins Zimmer, in dem Gabor vor Schreck die Finger ins Polster der Armlehnen krallte. Gabor versuchte das Gesicht zu erkennen, sah zwischen den Handkanten aber nur Schwärze. Eine Weile bewegte sich der Mann nicht, dann blickte er sich um, als suchte er etwas, fand das Gewünschte aber offenbar nicht, denn schon entfernte er sich und war gleich darauf wieder im Wald verschwunden. Gabors Rücken schmerzte von der Kraft, mit der er sich in den Sessel gedrückt hatte.
    Im Haus war es still. Nach einer Weile vernahm er ein Rascheln, jetzt

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