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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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raucht tatsächlich.«
    »Aha«, machte er nur. Es war ihm egal. Er ließ sich ins Polster sinken, wollte die Augen schließen.
    »Ich nehme an, du hast es ihr verboten.«
    »Ich habe gesagt: nicht mehr als drei am Tag.« Es war ihm, merkte er, völlig gleichgültig, und er schwieg, aber Berit schaute mit düsterer Entschlossenheit, als wollte sie die Sache jetzt klären. »Ich kann es ihr nicht verbieten. Ich rauche selbst.«
    Er widersprach, nur um Berit einen Gefallen zu tun, aber während die Worte seinen Mund verließen, merkte er, wie ihn der sinnlose Drang zu streiten ergriff.
    »Du kannst sagen: mit achtzehn. Mit achtzehn kannst du selbst entscheiden.«
    »Kann ich nicht. Weil ich selbst mit sechzehn angefangen habe.«
    »Hat sie dich danach gefragt?«
    »Nein«, rief Berit. »Aber das würde sie, wenn ich es ihr verbieten würde, und ich will meine Tochter nicht anlügen.«
    Gabor starrte vor sich hin.
    »Dann werde ich es ihr verbieten. Ich will nicht, dass sie raucht.«
    Berits reservierter Blick lag auf ihm wie eine Hand. Ihr Gesicht schien schmaler als sonst, die Wangenknochen ragten stark hervor. Er sah die Andeutung eines perfiden Lächelns, bevor sie das Weinglas an die Lippen setzte.
    »Mach keinen Elefanten draus. Sie kifft nicht, sie trinkt nicht, sie ist nicht schwanger.«
    »Das hat sie auch gesagt«, rief er. »Ich soll doch froh sein, dass sie nur raucht.«
    Später, er flickte an seinem Vortrag herum, kam Berit die Treppe hoch. Er hörte sie im Bad und ins Schlafzimmer gehen. Schon im Pyjama, trat sie in sein Zimmer und fragte ihn nach Yanns Telefonnummer.
    »Was?«
    »Yanns Telefonnummer. Malte geht mit dem Kindergarten zum Klettern, und Yann hat doch mal von den Hallen erzählt.« Sie beugte sich über ihn und griff nach Papier und Bleistift.
    Er tippte Kletterhallen in Berlin und wies auf die Liste der Treffer.
    »Hier. Such dir eine aus.«
    »Die Meinung eines Fachmanns wäre mir lieber.«
    Er sträubte sich, kämpfte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann gab etwas in ihm nach.
    »Ich glaube, im Moment kann Yann auf Fragen nach Kletterhallen von uns gut verzichten.« Er blickte seiner Frau ruhig ins Gesicht. »Ich habe ihn nämlich gefeuert.«
    »Was?«
    Plötzlich verlor er die Beherrschung.
    »Mein Gott. Yann ist ein Hippie. Hippies haben bei uns nichts verloren.«
    »Das wusstest du doch schon, als du ihn angestellt hast.« Gabor sagte nichts, starrte auf den Bildschirm. »Wann hast du ihn denn rausgeschmissen?«
    »Am Abend, als er bei uns war. Auf der Fahrt. Deshalb habe ich ihn nach Hause gebracht.«
    »Am Abend, als er bei uns war?«, wiederholte sie ungläubig. »Und sagst keine Silbe? Was ist eigentlich mit dir los?« Gabor schob den Cursor auf das Schließen-X, weil er die Werbung der Kletterhalle nicht ertrug. Der Steinbruch seines Vortrags erschien, aus den Stichworten sprang ihm das Wort »Kortison« entgegen. »Vielleicht überlegst du dir das noch mal mit der Professur«, sagte sie. »Du verhältst dich nämlich seltsam. Seitdem du nur deine Berufung im Kopf hast, verhältst du dich sehr sonderbar.«
    Am nächsten Vormittag betastete Gabor gerade den blau geäderten Fuß einer diabeteskranken Frau mit Verdacht auf sensible Neuropathie nach Geschwulsten, als plötzlich sein Herz zu rasen begann. Er hielt inne, bis aus dem Flattern in seiner Brust ein trockenes Hämmern wurde. Die Frau klagte über Taubheitsgefühle und zeigte Ansätze eines unsicheren Gangs. Der Stimmgabeltest hatte eine verminderte Vibrationsempfindlichkeit ergeben, aber die Nervenleitgeschwindigkeit wies keine Auffälligkeiten auf. Er wusch sich die Hände.
    »Kann sein, dass wir ganz woanders suchen müssen. Hatten Sie mal Probleme mit der Halswirbelsäule?«, sagte er, während er schon nach dem Hörer griff, um ein orthopädisches Konsil anzumelden. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ihre Blutwerte sind in Ordnung. Und solange Sie weiter Diät halten«, sagte er. Sie war Mitte siebzig und seit einem Jahr Witwe. Sie wohnte nicht weit von ihnen entfernt, allein, in einem der verwunschenen riesigen Häuser der Jahrhundertwende, und hatte Angst, bald keine Treppen mehr steigen zu können. Sie schien nicht beruhigt, wagte aber nicht zu widersprechen, als er ihr das Papier in die Hand drückte und sie nach unten schickte. Er sah ihr hinterher. Sie hatte einen leichten Seemannsgang, ihr weißes, mit Spray gefestigtes Haar schimmerte lila. Wenn die MRT , wovon er ausging, nichts ergab, müsste er eine

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