Gesichter: Roman (German Edition)
aus dem Vorgarten. Er stand auf und näherte sich vorsichtig dem Fenster, bis er hinaussehen konnte auf die Straße und die Häuser auf der anderen Seite. Er sah sein Auto am Straßenrand, den im Schein der Laterne schimmernden Kopfstein. Er sah den altertümlichen Zaun und den Kirschbaum gegenüber, aber plötzlich fuhr sein Blick zurück und blieb an einer Gestalt im Schatten des Müllhäuschens hängen. Sie bewegte sich. Sie krümmte sich leicht und schwang vor und zurück. Er telefoniert. Das leichte Schwanken, das Hin und Her sind die Bewegungen von jemandem, der telefoniert, dachte Gabor.
Nach einer Ewigkeit rutschte ein Schlüssel ins Schloss und Nele polterte ins Haus.
»Hi«, rief er und sprang auf. »Alles in Ordnung? Wieso rufst du nicht an? Ich hätte dich doch abgeholt.«
Seine Tochter kickte die Schuhe in die Garderobe und pfefferte die Sporttasche hinterher. Er roch ihr Haarshampoo, als sie wortlos an ihm vorüber in die Küche stapfte. Sie riss an der Kühlschranktür, schnappte sich eine Wasserflasche und trank und starrte dann, die Leere der müden Sportler im Blick, vor sich hin.
»Seit wann holst du mich vom Training ab?«
»Wenn ich Zeit habe. Warum nicht?«
»Und Malte bleibt allein oder was?«
Sie schüttelte den Kopf, führte die Flasche wieder an die Lippen, und während er sie trinken sah, kam die Erinnerung an das Geschehene zurück: das fordernde Schrillen der Klingel, das wütende Murmeln und die Tritte gegen die Tür. Der Mann, der durchs Fenster ins Wohnzimmer starrt.
»Hast du vorhin draußen telefoniert?«
»Was?«
»Draußen. Hast du nicht eben vor dem Haus telefoniert?«
Sie schüttelte wieder den Kopf und verzog dabei den Mund, als schmerzte sie irgendwo ein Muskel.
Mit Lappen, Handfeger und Schaufel ging er in Berits Zimmer, wischte das Wasser auf und beseitigte, so gut es ging, die Federn und Flusen. Als er herunterkam, drang leise Musik durch Neles geschlossene Zimmertür. Malte schlief. Er blickte durchs Fenster auf die Straße, aber niemand war zu sehen.
Gabor hätte nicht sagen können, was ihn die Haustür öffnen und hinausgehen ließ. Kühle Herbstluft strömte ihm entgegen. Es war erst kurz nach zehn, aber die Dunkelheit und Bewegungslosigkeit erweckte den Eindruck tiefer Nacht. Als er vom Vorgarten noch einmal zurückblickte und die an der Garderobe hängenden Jacken in der Diele sah, kehrte er um, steckte den Schlüssel ein, dann schloss er die Tür hinter sich.
Er stand auf der Fahrbahn, in der Mitte, wo das Licht der Laternen hinfiel, und schaute die Gasse hinunter bis zum Wendehammer. Die Atmosphäre wirkte geleert, wie gereinigt. Er näherte sich der Stelle, wo er die Gestalt gesehen hatte, betrat das Grundstück der Hauensteins und blickte, zwischen einem Strauch und den Mülltonnen stehend, zum erleuchteten Fenster seines eigenen Arbeitszimmers hinauf. Er sah sein Bücherregal an der Wand, die Reihen schwarzer Ordner. Das Knirschen winziger Steinchen unter seinen Schuhsohlen schreckte ihn auf. Er ging den Weg entlang, streifte mit den Fingerspitzen über die rauen Blätter der Hecken wie über die immer wieder andersartige Haut eines riesigen Lebewesens. Erst als er zurückkam, bemerkte er die Beule in der Fahrertür seines Wagens, eine Delle, die so tief war, dass sie nur von einem harten Gegenstand oder einem wuchtigen Tritt stammen konnte.
Berit kam nach Hause, als er schon im Bett lag. Sie schlüpfte zu ihm unter die Decke. Sie brachte die Unruhe des Bahnhofs mit, das innere Zittern einer Reise. Ihr Atem ging schnell, ihre Schienbeine drückten kühl und glatt gegen seine Wade.
»Schläfst du?«
Statt zu antworten, nahm er ihre Hand, in einer unwillkürlichen Bewegung, die nichts verriet.
»Hast du meine Nachricht gelesen?«
Er schwieg. Er nahm ihre Aufgewühltheit wahr, die wie ein Fisch durch ihren Körper schnellte und Wellen von Zuversicht an ihn weitergab. Sie küsste seine Schulter, kleine zarte Küsse, die eine Linie hoch zu seinem Haaransatz bildeten, hielt plötzlich inne. »Morgen wird alles gut gehen, ich weiß das«, flüsterte sie. »Ich denke an dich.« Sie rückte von ihm weg, drehte sich auf den Rücken, in einer langsamen Bewegung. Er hörte sie gähnen. »Willst du wirklich nicht, dass ich dabei bin?« Sie schien keine Antwort zu erwarten. Ihre Stimme klang fern, als wäre sie schon dabei, im Schlaf zu versinken.
Gabor öffnete die Augen und lauschte hinunter, als würde der Mann noch immer um ihr Haus schleichen, als
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