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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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Zähne und einen Teil Ihrer Oberlippe.«
    »Und der Rest?«
    Der Mann bewegte verneinend den Kopf.
    »Was sehen Sie dort, wo meine Nase sein müsste?«
    Der Mann schwieg.
    »Keine unscharfe rosa Fläche? Und mein Haar, können Sie mein Haar sehen?«
    »Der Kragen des Kittels, der ist da.«
    »Also der Kittel und darüber mein sprechender Mund, ja? Aber wie? Hängt der Mund in der Luft?«
    »Ich weiß es nicht. Es ist seltsam.«
    Der Mann zog das Lid seines linken Auges zusammen und starrte Gabor konzentriert an, doch nach einer Weile schüttelte er den Kopf.
    »Und was passiert jetzt?«, fragte Gabor, bevor er den Mund schloss.
    Einige Sekunden herrschte Stille.
    »Jetzt ist Ihr Gesicht wieder da.«
    »Aber wie?«, fragte der Kollege neben ihm. »Erscheint das Gesicht auf einen Schlag, plötzlich oder schrittweise? Fließt es zusammen? Verstehen Sie? Das würden wir gerne wissen.«
    Doch der Mann schüttelte nur den Kopf.
    »Ist es das, was Sie suchen?«, fragte der junge Arzt, als sie wieder auf dem Gang standen.
    »Völlig harmlose Gesichtsfeldstörungen. In drei, vier Stunden sieht er wie ein Adler.«
    Während der Kollege enttäuscht abzog, klingelte das Telefon, und Gabor meldete sich, verärgert, dass er vergessen hatte, es lautlos zu stellen.
    Nichts. Als wäre die Leitung tot.
    »Hallo«, wiederholte er, während sein Herz stärker zu klopfen begann. Plötzlich ein Schluchzen, das ihm bekannt vorkam.
    »Nele? Bist du das? Was ist passiert?«
    Nach einer Weile verstand er im Schniefen den geflüsterten Satz: »Papa, kannst du kommen?«
    »Was? In die Schule?«
    »Ich bin hier bei dir. Im Krankenhaus.«
    »Auf welcher Station? Was ist passiert?«
    »Hier unten, im Foyer.« Sie wimmerte. »Bitte, kannst du kommen?«
    Den Hörer ans Ohr gepresst, wandte sich Gabor um, als würde er beobachtet, aber er stand allein im Flur. Gemalte Bilder von Patienten hingen an der Wand. Weiter hinten hielt eine junge Kollegin ein Klemmbrett vor der Brust, im Gespräch mit jemandem, den er nicht sah.
    »Bleib, wo du bist«, rief er.
    Der Bereich vor den Fahrstühlen war leer. Als kein Aufzug kam, hämmerte Gabor auf den Knopf. Ein Pfleger schob einen Wagen mit Bettwäsche vor sich her, während Gabor das untröstliche Wimmern seiner Tochter noch immer im Ohr hatte wie den nachklingenden Ton einer Stimmgabel. Als die Türen endlich aufglitten und er sich an den heraustretenden Ärzten vorbeidrängen wollte, stand er plötzlich Overkamp und dem Kardiologen aus der Auswahlkommission gegenüber.
    »Herr Lorenz«, rief Overkamp überrascht, »von Ihnen sprechen wir gerade!«
    Das Metallgestänge des Wäschewagens berührte seinen Rücken, und Gabor machte einen Schritt zur Seite, um den Pfleger vorbeizulassen.
    Er starrte in das gebräunte Walrossgesicht des Herzspezialisten, und als er seine weißen Augenbrauen sah, die nach außen hin schräg anstiegen, um auf dem letzten Drittel scharf abzuknicken, fiel ihm das Lachen des Auditoriums wieder ein, als er ihn etwas gefragt hatte, woran er sich nicht mehr erinnern konnte. Meyer. Er hieß Meyer.
    »Ich hoffe, ich konnte alle Ihre Fragen beantworten«, hörte Gabor sich sagen, während er seine Hand schüttelte.
    »Doch, doch«, sagte der. »Kein unappetitliches Blut, keine aufgeschnittenen Körper. Dafür Zigtausende Euro Förderung.«
    Offenbar hatte er die Zusage doch erwähnt. Gabor hob den Blick, sah erst in Meyers Gesicht, dann in Overkamps Kraterlandschaft, aber ihre ausdruckslose Erwartung gab keinerlei Aufschluss. Der Kardiologe tätschelte Gabors Finger wie ein gütiger Opa, seine Hand war weich und daran gewöhnt, Menschen in Sicherheit zu wiegen. »Was mich noch interessieren würde«, sagte er. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie den Schwerpunkt auf die Gesichtserkennung allgemein legen.« Gabor drehte den Kopf, um alles zu erfassen, was in Meyers Stimme mitschwang. »Arbeiten Sie in diesem Zusammenhang eigentlich auch mit Informatikern zusammen? Sie wissen schon: Gesichtsschleusen, biometrischer Pass? Und so weiter.«
    Gabor tat erstaunt.
    »Habe ich darüber am Freitag nichts gesagt?«
    Keine Reaktion, nur dass Overkamps rechtes Auge sich verengte und der Geruch nach Fisherman’s Friend intensiver wurde, weil er seinen Vogelkopf einen Stück weiter nach vorn geschoben hatte. Meyer schüttelte den Kopf.
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Man weiß nie, was die Zukunft bringt, aber zurzeit haben diese Geräte eine Trefferquote von dreißig Prozent, selbst die

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