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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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Abend, damals auf der Insel, als Nele das erste Mal nach dem Essen noch hatte ins Dorf gehen wollen. Der rötliche Schein der Lampions erhellte den Steintisch und die Teller und Schüsseln und reichte bis zum niedrigen Feldsteinmäuerchen, auf dem Handtücher zum Trocknen lagen. Dahinter schimmerten die trockenen Sträucher auf ihrem abfallenden Grundstück im Mondlicht wie bläuliche Schneehügel. Nele aufrecht im hölzernen Gartenstuhl, Hände auf den Lehnen.
    »Und wann willst du wieder hier sein?«
    »Um zwölf.« Teilnahmsloser Blick, trotzdem wurde sie rot.
    Er konnte sich erinnern: an die klare Luft, in der man die entfernten Stimmen von Timothy und Maureen hören konnte, an die gebogene Lichterkette der Hafenpromenade unterhalb des Hügels, der wie die Schnauze eines trinkenden Drachen ins Wasser tauchte. Neles gespielte Ruhe.
    »Um elf bist du spätestens zu Hause«, hatte er gesagt, und Nele war aufgesprungen und hatte sich ihre Stofftasche gegriffen und eine der Taschenlampen vom Fensterbrett, ohne deren Licht man, falls sich eine Wolke vor den Mond schob, auf dem steinigen Pfad leicht stolperte. Und dann war sie weg gewesen, und Berit und er hatten weiter geschwiegen.
    »Jemand von der Eisdiele?«
    »Keine Ahnung.«
    Sie kam um den schweren Holztisch herum zu ihm, er hörte das Geräusch ihrer Fußsohlen auf den Steinen, das zarte Rascheln, als berührten sie den Boden kaum. Ihre Fingerspitzen stießen leicht gegen seine Hand, bevor sie ins Haus ging. Er blieb noch einen Moment, das Licht des Mondes lag als heller Kegel auf dem Meer, eine breite Wasserstraße, die von der unsichtbaren, aber nahen türkischen Küste auf ihre Insel zulief. Die angenehme Kühle, als er ihr ins Innere folgte, zwischen den dicken Wänden wie unverändert seit hundertfünfzig Jahren, der Geruch der Steine, Berits Räuspern, während er zu ihr gegangen war.
    Ein Geräusch ließ ihn den Kopf wenden. Berit stand in der Tür, als bräche sie jeden Moment zusammen. Die schief hängende Schulter, die vor Schwäche gebeugten Knie, ihr vorgestreckter Kopf.
    »Ich kann nicht mehr«, sagte sie.
    Erst jetzt stand er vom Schreibtisch auf. Sie kippte einfach gegen ihn. Sie weinte nicht, sie stand nur da, und er umarmte sie vorsichtig, als hätte sie einen Sonnenbrand auf den Schultern.
    »Wir müssen Malte holen. Ich möchte, dass Malte hier ist. Hier bei uns.«
    Malte fragte nicht nach seiner Schwester, als spürte er die Angst seiner Eltern vor der Lüge, mit der sie ihm antworten müssten. Er preschte ins Haus und alles gehörte ihm. Sein Sofa, auf das er sprang, seine Mutter, der er erzählte, was er in den letzten Tagen bei seinem Freund Lukas erlebt hatte, sein Teppich im Wohnzimmer, auf dem er eine neue Form des Halbkopfstands vorführte. Er sprach ohne Unterlass und lachte zwischendurch, die Augen fest zusammengepresst, als kitzelte ihn jemand. Gabor konnte nicht zuhören. Er sah Malte sprechen, aber er verstand den Sinn seiner Worte nicht. Er zählte im Stillen, starrte auf Maltes sich bewegenden Mund, bis er begriff, dass Malte von Kartoffeln sprach.
    »Ich habe sie selbst geschnitzt. Sie sahen aus wie Autos. Mit Rädern.«
    Gabors Aufmerksamkeit trieb fort, absorbiert von vagen Bildern: Er sah Nele als Baby den Oberkörper in die Höhe stemmen, Nele, in roten Gummistiefeln durch die Wohnung marschierend oder hopsend im schaukelnden Sitz, der an Gummibändern im Türrahmen zur Küche befestigt war. Vorbeihuschende Schatten, die einen kalten Schmerz hinterließen, auf eine bestimmte Weise angenehm, wenn er flach atmete und sich kaum bewegte. Er spielte, wurde ihm bewusst, seit geraumer Zeit mit seinem Sohn das Gänsespiel. Die Hand am Stein, sah Malte ihn gebannt, vorsichtig von der Seite an, als fürchtete er das Erwachen eines schlafenden Riesen.
    Sie warteten. Sie hatten einen schnurlosen Apparat, den sie im Haus herumtragen konnten, aber sie ließen das Telefon in der Ladestation im Wohnzimmer und bewegten sich in einem engen Radius darum herum. Berit lag auf dem Sofa, er lief umher oder stand am Fenster. Es beruhigte ihn, die Männer im Passat zu beobachten. Solange er sie sah, fühlte er sich involviert, an der Fahndung beteiligt. Zwei durchtrainierte Männer um die dreißig, beide mit militärisch kurzem Haarschnitt. Der eine im blauen Parka, der andere in schwarzer Lederjacke und seit Stunden mit nichts anderem beschäftigt, als auf ihr Haus zu starren. Zweimal hatte jeder von ihnen geklingelt und gefragt, ob er die

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