Gesichter: Roman (German Edition)
gekauft hatten, hatte ihnen während der Besichtigung gesagt, dass es Generationen davor der Unterstand eines Hirten gewesen war, und etwas Verstecktes, Unauffälliges hatte es noch immer. Bei brütender Hitze waren sie, die schlafende Nele auf seinem Rücken, zu Fuß aus dem Dorf hochgestiegen, weil jemand behauptet hatte, man sei in wenigen Minuten oben. Der Sohn verbrannte vor dem Haus gerade Unrat, als sie die Anhöhe erreichten. Es lag ein beißender Geruch nach geschmolzenem Plastik in der Luft, im Näherkommen bemerkten sie die scheibenlosen Fenster, den alten Kühlschrank und die Reifen auf dem Grundstück und hätten, geschockt vom verkommenen Zustand, fast wieder kehrtgemacht.
Gabor stand frierend auf den Fliesen, als er auf seinem Grundstück plötzlich Lichtkegel entdeckte, auf und ab tanzend wie von Taschenlampen. Dann sah er auch die Männer. Sie waren zu viert. Sie gingen gebeugt, durchquerten die Macchia und steuerten direkt auf das Haus zu. Sie streiften durch ihr Gemüsebeet, und im nächsten Moment standen sie auf ihrer Terrasse. Gabor sah das Licht der Taschenlampen über die Wände und Fensterläden wischen, dann war es plötzlich dunkel. Angestrengt starrte er in die Nacht, doch als er schon glaubte, sich das Ganze nur eingebildet zu haben, kam das Licht aus dem Inneren des Hauses. Es drang durch die Lamellen der Terrassentür und der Fensterläden des Wohnzimmers. Es fiel durch die Ritzen aus dem Zimmer, in dem ihr großes Bett stand, und aus dem Kinderzimmer. Die Lichter strahlten auf, verloren sich und waren kurze Zeit später an anderen Stellen wieder da, als würden die Männer etwas suchen.
In den Tagen, bevor er Freiburg verlassen würde, um in Köln seine erste Stelle anzutreten, hatte er Angst bekommen. Er wollte nicht weg. Er wollte in Freiburg bleiben, die kurzen Wege, die bekannten Orte, die Nähe der Berge. Er trieb sich auf den Straßen herum, ging in die vertrauten Cafés und Biergärten, stieg auf den Schauinsland oder joggte an der Dreisam entlang, aber die Unruhe, der kalte Druck auf dem Brustbein verstärkte sich statt nachzulassen. Panik stieg immer wieder neu in ihm auf, gerade wenn er glaubte, die Angst hätte von ihm abgelassen. An einem Nachmittag trieb er ohne Ziel im Strom der Passanten durch die Straßen um den Münsterplatz, aufgehoben zwischen den Unbekannten, als er Kyra entdeckte. Sie war allein, kam ihm entgegen, die Tüte eines Schuhladens in der Hand. Er konnte sein Glück kaum fassen. Er ging auf sie zu, erleichtert, mit dem Wissen, dass er genau auf solch eine Begegnung gewartet hatte. Er brauchte nur diesen einen Moment der Nähe, ihre Anmut, einen kurzen Wortwechsel zum Abschied, das Lächeln einer Königin, doch kurz bevor er sie erreichte, begriff er, dass sie ihn nicht erkannte. Sie ging an ihm vorüber, und er blieb stehen, mehr überrascht als gekränkt. Er lief ihr hinterher. Er berührte den Ärmel ihres Mantels. »Hey, Kyra«, sagte er. Sie drehte sich unwirsch um. Ihr Blick wanderte über sein Gesicht, gleichgültig, ohne irgendeine Regung, wie über eine formlose Fläche, einen Gegenstand, mit dem sie nichts anzufangen wusste.
»Was soll das?«, sagte sie verärgert und ging weiter.
Als er die Augen öffnete, saß Maureen auf der Kante des Betts und betupfte seine Stirn mit einem warmen Tuch. Seine Kehle schmerzte, als hätte er lange nichts getrunken oder während des Schlafs geschrien.
»Du hast zwei Tage durchgeschlafen.« Ihre kühle, weiche Hand lag auf seinen Fingern. »Ruh dich aus«, sagte sie.
Das Fieber dauerte drei Tage. Im Dämmerzustand bekam er mit, dass Maureen ihn an der Hand vom Fenster zurück ins Bett führte oder ihn an der Schulter berührte, wenn er einen Albtraum hatte, und dann beruhigte er sich wieder. Sie sagte etwas über Berit und einen Polizisten von der Insel, aber bevor er den Sinn ihrer Worte verstand, war er schon wieder eingeschlafen. Immer wieder sah er Malte auf der Schaukel in ihrem Garten, von unten, als befände er selbst sich hinter einer Glasscheibe unter dem Gerüst. Malte schaukelte hoch, und jedes Mal, wenn das Seil gegen den Ast des Aprikosenbaums stieß, gab es ein hässliches schleifendes Geräusch.
Am vierten Tag ließ die Lichtempfindlichkeit nach, und Gabor zog vom Gästezimmer auf das Sofa im Wohnzimmer und verfolgte über Stunden die Veränderung des Himmels und den Wechsel des Lichts auf den kargen Hügeln auf der anderen Seite der Hafenbucht, während Timothy einige Meter entfernt am
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