Gespenster Kuesst Man Nicht
Steven.
Mir wurde klar, dass ich ihn in den letzten Tagen oft zurückgewiesen hatte. »Das kann ich allein erledigen«, sagte ich behutsam. »Wir können später wieder was gemeinsam machen, okay?«
Er nickte. Ich ging nach oben und duschte in aller Eile, weil ich so schnell wie möglich mit Muckleroy reden wollte.
Noch mit feuchtem Haar rief ich die Nummer an, die Gilley mir auf einen Fetzen Papier geschrieben hatte. Muckleroys Verhalten hatte sich seit unserer ersten Begegnung um 180 Grad gedreht. Am Telefon war er richtig leutselig und höflich. »Wir haben eine erstklassige Phantomzeichnerin«, sagte er. »Ich dachte, wenn Sie ihr eine Beschreibung des Jungen geben könnten, hätten wir eine größere Chance, ihn zu identifizieren.«
»Wie viele vermisste Jungen kommen denn infrage?«, wollte ich wissen.
»Hier in New York sind es vier in dem Alter. Sie wurden zwischen 1966 und 1985 als vermisst gemeldet, was ein ziemlich großer Zeitraum ist, und nur bei zweien ist ein Foto dabei. Ich wollte das Phantombild, das Sie mit der Zeichnerin ausarbeiten, gern den Familien zeigen und schauen, ob es ihnen bekannt vorkommt.«
»Wurde einer der Jungen um 1976 herum als vermisst gemeldet?«, fragte ich.
»Nur einer. Aber der Name Eric passt nicht.«
»Hieß von den anderen einer Eric?«
»Nein.«
Ich runzelte die Stirn. Das war eindeutig der Name des Jungen. Er hatte ihn mir einige Male klar und deutlich genannt, und auch Nicholas hatte ihn so angesprochen. Aber möglicherweise war das sein zweiter Vorname oder ein Spitzname. »Wann soll ich vorbeikommen?«
»Ginge es jetzt gleich?«
»Ja.«
Er beschrieb mir den Weg, und wir beendeten das Gespräch. Danach suchte ich aus meinen Notizen die Nummer von Rektor Habbernathy heraus. Es schaltete sich nur die Mailbox ein, also hinterließ ich die dringende Bitte, mich anzurufen, und hoffte, dass er das auch tun würde. Natürlich konnte ich jederzeit einfach zur Schule gehen und an Nicholas’ Fenster klopfen, aber ich hatte so eine Ahnung, dass er Fremden gegenüber nicht gerade aufgeschlossen war. Ich brauchte die Vermittlung seines Bruders, damit er seine Scheu verlor.
In der Küche informierte ich Gil und Steven. Ich überließ ihnen den Van und nahm Karens Mercedes. So eine Freundschaft hatte ihre Vorteile.
Bis in die Innenstadt fuhren wir hintereinander her, dann bog ich Muckleroys Beschreibung gemäß links auf die Saranac Avenue ab, während Gil und Steven weiter der Old Military Road folgten.
An der Polizeistation warf ich Münzen für zwei Stunden in die Parkuhr, in der Meinung, das müsste mehr als ausreichen. Drinnen nannte ich der Empfangsdame meinen Namen, und sie bat mich, noch kurz zu warten. Es dauerte nur ein, zwei Minuten, bis sich eine Tür öffnete und Muckleroy mich hereinwinkte. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind!«, sagte er. »Unsere Zeichnerin arbeitet nur halbtags für uns; heute Nachmittag hat sie eine anderweitige Verpflichtung.«
»Kein Problem.« Ich folgte ihm einen weiß gestrichenen Gang entlang zu einem Büro im hinteren Teil des Gebäudes. »Hier hinein.« Er ließ mir den Vortritt. Als ich den Raum betrat, erhob sich eine Frau von ungefähr sechzig Jahren mit wunderschönem silbernem Haar und dunkelbraunen Augen. »Hallo, M.J.« Sie streckte mir zur Begrüßung die Hand entgegen. »Ich bin Amelia Myers.«
»Hi!« Ich schüttelte ihr die Hand. Sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber, und ich setzte mich.
»Gut, ich überlasse das jetzt Ihnen, Amelia«, sagte Muckleroy, der in der Tür stehen geblieben war. »Rufen Sie mich an, wenn Sie beide fertig sind und wir oben die Fotos durchgehen können.«
Als er weg war, sagte Amelia: »Bob hat erzählt, dass Sie eine ziemlich ungewöhnliche Begabung haben.«
Ich grinste verwegen. »Er untertreibt.«
Sie lachte. »Jedenfalls haben Sie in ihm einen Fan fürs Leben gewonnen.«
Ich kicherte. »Es gefällt ihm, dass ich so geistreich bin.« Manchmal wird’s peinlich.
Amelia lachte kurz, dann wurde sie ernst und holte ihren Zeichenblock hervor. »Na gut, M.J. Fangen wir doch an, indem Sie mir die Gesichtsform des Jungen beschreiben.«
Wir arbeiteten nahezu zwei Stunden lang, und ich war nun doch froh, dass ich genug in die Parkuhr investiert hatte. Schließlich, zehn Minuten bevor ich hätte nach draußen wetzen und nachfüttern müssen, drehte sie den Block um. Das Gesicht, das mir entgegensah, war unverkennbar. »Das ist er«, sagte ich bedrückt. Es hatte etwas furchtbar
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