Gespenster um Al Wheeler
das Brustbild eines
patriarchalisch aussehenden Mannes mit einem Schopf strohigen weißen Haars, das
die Röte seines Gesichts betonte und die durchdringende Kälte der blauen Augen
verstärkte. Der durch die gebogene Nase hervorgerufene Eindruck von
Erbarmungslosigkeit und Habgier wurde noch durch den schmallippigen
zusammengepreßten Mund unterstrichen.
»Das war mein Vater,
Lieutenant«, sagte plötzlich hinter mir eine männliche Stimme. »Eli Sumner. Er
sieht aus wie jemand, der weiß, was er will. Nicht wahr? Und ich kann Ihnen
versichern, er wußte es auch !«
Ich hatte nicht gehört, daß
sich die Tür geöffnet hatte, aber es mußte geschehen sein, sofern der Mann
hinter mir sich nicht plötzlich mitten im Zimmer materialisiert hatte. Bevor
ich mich zu ihm umdrehte, fragte ich mich flüchtig, weshalb ein Mann so in
seinem eigenen Haus herumschlich.
»Meine Frau hat mir von Ihrem
Hiersein erzählt, Lieutenant«, fuhr er mit gelassener Stimme fort. »Ich bin
Crispin Sumner .« Inzwischen hatte ich mich vollends
umgedreht und blickte ihn an. Er traf keine Anstalten, mir die Hand zu reichen.
»Ich hörte, Sie wollen meine Schwester Charity sprechen ?«
Er war groß und mager und ganz
wie ein Landedelmann angezogen, mit einer eleganten Krawatte über dem
Seidenhemd und Kordhosen , die in glänzendpolierten
Reitstiefeln steckten. Er mochte Mitte Dreißig sein, überlegte ich, und hatte
einen Schopf strohigen schwarzen Haars und eine leicht gebogene Nase. Aber
damit war die Ähnlichkeit mit seinem Vater abrupt beendet. Seine Augen waren
eine Mischung aus Aquamarin- und Lehmfarbe, und sie bewegten sich ununterbrochen,
als hätten sie Angst, irgendwo erwischt zu werden. Seine Lippen waren voll, und
die Unterlippe war auf eine etwas eigensinnige Weise geschürzt, was seinem Mund
ein weiches, fast weibliches Aussehen verlieh.
»Stimmt, Mr. Sumner«, sagte ich
schließlich. »Ich wollte Ihre Schwester sprechen .«
»Jessica — meine Frau — hat
sich unglücklicherweise geirrt«, sagte er und lächelte vage. »Sie wußte nicht,
daß Charity bereits vor ungefähr einer Stunde nach
Los Angeles gefahren ist. Sie bringt ein paar Tage bei Freunden in Bel Air zu .«
»Pech — für mich«, sagte ich.
»Vielleicht könnten Sie mir ihren Namen und ihre Anschrift geben ?«
Er lachte kurz. »Leider nicht.
Ich weiß, es klingt merkwürdig, aber Charity ist
jetzt erwachsen — sie führt ihr eigenes Leben. Sie macht sich nicht die Mühe,
uns in Einzelheiten einzuweihen, wenn sie wegfährt. Ich werde dafür sorgen, daß
sie Sie anruft, wenn sie zurück ist, Lieutenant. Oder kann ich Ihnen vielleicht
von Nutzen sein ?«
»Vielleicht«, sagte ich. »Haben
Sie die Morgenzeitungen gelesen ?«
»Wegen der dramatischen Aussage
unserer armen alten Emily?« Er schüttelte spöttisch den Kopf. »Sie war eine
liebe, reizende Frau. — Wußten Sie, daß sie fünfundzwanzig Jahre lang in der
Familie war? — Aber da hat sie sich leider ein reines Phantasiegebilde
ausgedacht. Das gute alte Mädchen hatte immer eine Schwäche für alles
Dramatische, wissen Sie .«
»So sehr, um im Totenbett ihren
Priester anzulügen ?«
Er zuckte gereizt die
Schultern. »Vielleicht war es auch nur das Gerede einer sterbenden Frau im
Delirium. Jedenfalls kann ich Ihnen versichern, daß das Ganze reiner Blödsinn
war .«
»Waren Sie zur Zeit des Mordes
überhaupt hier, Mr. Sumner ?«
»Mord?« Seine Stimme wurde
schärfer. »Ich war hier, als der Kopf gefunden wurde, wenn Sie das meinen, Lieutenant .«
Mir wurde bewußt, daß die
äußere Schicht meiner Höflichkeit nunmehr nahezu abgeblättert war. »Wenn Sie
sich einbilden, er hätte Selbstmord begangen, indem er sich persönlich
enthauptet hat und hinterher kopflos davonspaziert ist, weil er den Anblick von
Blut nicht ertragen konnte, so ist das Ihre Angelegenheit«, knurrte ich. »Für
mich handelt es sich hier um Mord .«
Crispins Gesicht rötete sich
leicht. »Ich war zu der — vermutlichen — Zeit des Mordes hier, Lieutenant.
Ebenso wie die arme alte Emily Carlew . Sie hat nach
dem Tod ihrer Mutter — sie starb ein Jahr zuvor — kaum je mehr das Haus
verlassen. Ich kenne die Einzelheiten des Unsinns nicht, den sie geredet hat, aber
Sie können mir aufs Wort glauben, daß sie den Mann nie in ihrem Leben gesehen
hat. Was immer für Verrücktheiten sie auf ihrem Totenbett geplappert haben mag,
sie waren ausschließlich das Produkt ihrer eigenen Phantasie .«
»Sie hatten also zu jener
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