Gespenstische Warnung
geworden
wäre, wenn man ihn nur gelassen hätte.«
»Da war ein Mann, der so aussah.« Sie
überlegte ein paar Sekunden lang. »Er kam eine Zeitlang fast jeden Tag in die
Boutique und wollte immer, daß Linda sich um ihn kümmere. Es war schließlich
so, daß sie jedesmal , wenn er auftauchte, ins
Hinterzimmer verschwand und mich bat, für sie hinauszugehen und zu sagen, sie
sei krank oder so was. Nachdem das ein paarmal passiert war, verlor er
vermutlich das Interesse, denn er kam nicht mehr in die Boutique.«
»Wann war das?«
»Vor ein paar Monaten, ich erinnere
mich nicht mehr genau.« Ihre Unterlippe verzog sich. »Wollen Sie versuchen
nachzuweisen, daß der Mann Linda umgebracht hat?« Sie lachte kurz und
verächtlich auf, und ich schauderte innerlich bei dem Laut. »Wir wissen alle,
wer sie ermordet hat, Holman. Es war Sorel, und ich werde dafür sorgen, daß er
es büßen wird! Sorel ist ein...« Sie begann eine lange Reihe unorigineller
Obszönitäten zu murmeln.
» Sis !« rief
Marco mit schriller Stimme. »Das ist nicht nett! Ein Mädchen von deinem Niveau
sollte nicht so reden!« Überraschenderweise brach sie ab, legte den Kopf gegen
die Couch zurück und schloß die Augen. »Bring mir was zu trinken!«
»Sofort, Sis «,
sagte Marco beglückt. »Wie steht’s mit Ihnen, Mr. Holman? Möchten Sie
vielleicht ein Glas trockenen Sherry?«
Ich zuckte zusammen. »Klingt
großartig.«
Er verschwand in der Küche und kehrte
mit einem Opart-Tablett zurück, auf dem drei niedliche kleine Gläser mit
strohfarbenem Sherry klirrten. Andrea öffnete die Augen und richtete sich auf,
dann nahm sie ein Glas vom Tablett. Sie wandte mir den Blick zu, und ihre Augen
begannen wieder zu glühen.
»Was, zum Teufel, hat Holman hier noch
zu suchen? Ich habe ihm gesagt, er soll weggehen.«
»Nun hör mal, Sis —« Marco machte mit der freien Hand eine beschwichtigende Bewegung. »Mr. Holman
versucht doch bloß zu helfen.«
»Sorel zu helfen, meinst du.« Sie
nippte an ihrem Glas, zog eine Grimasse und schleuderte es durchs Zimmer. »Was,
zum Teufel, fällt dir eigentlich ein, mir ein solches Spülwasser zum Trinken zu
geben! Ich möchte einen Martini!«
Marco ließ sich auf Hände und Knie
nieder, um die Scherben einzusammeln. Als er wieder aufstand, war sein Gesicht
vor Ärger verzogen. »Wie kannst du, Andrea! Du weißt genau, daß es meine
Lieblingsgläser sind! Auch noch aus Schweden importiert, sie können nicht
ersetzt werden!«
»Hör auf zu winseln und bring mir den
Martini«, zischte sie.
»Nein!« Er stampfte mit dem Fuß auf,
und ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte. »Hol
ihn dir selbst!«
Sie stand mit verächtlich verzogenem Mund
von der Couch auf und ging steif in die Küche. Ich hoffte insgeheim, sie würde
zwei Martini zurückbringen, aber das war reines Wunschdenken und im Grunde mir
auch klar.
Marco rückte mir mit einem
verstohlenen Schlurfen näher auf den Leib, was mich einen Augenblick nervös
machte. »Ich weiß, daß Andrea emotionell beeinträchtigt ist«, vertraute er mir
im Flüsterton an, »aber ich finde, sie treibt es ein bißchen zu weit! Der
Schock, Linda ermordet vorzufinden — ich meine, ich kann das alles verstehen
und ich habe volles Mitgefühl mit dem armen Mädchen. Aber dieses ganze
melodramatische Gehabe fällt mir allmählich auf die Nerven. Mir eines meiner
Lieblingsgläser zu zerschmeißen, war reine Bosheit, Mr. Holman. Obwohl ich das
von meiner eigenen Schwester sagen muß — es war wirklich reine Bosheit.
Schließlich hätte ihre Beziehung ohnehin nicht für alle Ewigkeit angedauert,
oder?«
»Wie bitte?« fragte ich.
»Die Beziehung zwischen Linda und
ihr.« Er zuckte ausdrucksvoll die Schultern. »In spätestens einem Monat wäre
alles vorbei gewesen. Linda war eindeutig entschlossen, zu Sorel
zurückzukehren, ich weiß das.« Er hob die Augen zur Decke und schüttelte
verwundert den Kopf. »Diese gräßlichen Streitereien, welche diese Mädchen
miteinander hatten. Manches mußte man einfach gesehen haben, um es zu glauben,
versichere ich Ihnen!«
»Aber Linda sah Sorel nur das eine
Mal, als er vor drei Monaten in ihre Wohnung hereinplatzte. Jedenfalls hat das
Ihre Schwester behauptet.«
»Reiner Stolz.« Er preßte die weichen
Lippen zusammen, und seine Stimme wurde salbungsvoll. »Sie log, weil sie die
Wahrheit nicht ertragen konnte. Linda hat Sorel bei jeder Gelegenheit
getroffen, nur gab es wenig Gelegenheiten, weil Andrea
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