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Gesponnen aus Gefuehlen

Gesponnen aus Gefuehlen

Titel: Gesponnen aus Gefuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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eine antiquarische Sammlung. Leider boten diese Regale nicht die Abgeschiedenheit des Archivs der Londoner Bibliothek. Aber Lucy hoffte, dass die Bücher trotzdem mit ihr sprachen. Langsam ging sie durch die Reihen und musterte die Bücher, die in den Regalen warteten. Sie entdeckte Werke von Shakespeare und ein besonders schön illustriertes Werk von Daniel Defoe. Erleichtert sah sie, dass Das Bildnis des Dorian Gray noch vollständig erhalten war. Dann suchte sie gezielt nach Stolz und Vorurteil von Jane Austen und entdeckte dabei Ivanhoe von Sir Walter Scott. Alles Bücher, die sie liebte und die der Bund bisher nicht in seine Gewalt gebracht hatte.
    Erst im hinteren Bereich getraute sie sich, ihr Medaillon unter dem Pullover hervorzuziehen. Langsam öffnete sie es und wartete, dass das silberne Licht sich seinen Weg nach draußen bahnte.
    Das Bild, das sie sah, war dunkel. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es Nacht sein musste. In der Ferne sah sie die erleuchteten Fenster eines Hauses. Dann stand sie in einem Raum, der von glitzernden Kronleuchtern in helles Licht getaucht wurde. Eine lange Tafel stand in der Mitte des Saales und um den Tisch herum saßen Männer in schwarzen Anzügen und mit schwarzen Hemden. Lucy schrak zurück, obwohl sie wusste, dass die Männer sie nicht sehen konnten, und dass alles nur Bilder aus der Vergangenheit waren. Trotzdem jagte die Präsenz so vieler Perfecti ihr einen Schrecken ein. Am Kopf der Tafel stand ein Mann, in dem Lucy unschwer eine jüngere Version Batiste de Tremaine erkennen konnte. Vor ihm stand ein Mann, dessen Arm um die Schulter einer Frau lag. Furcht zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. Auf ihrem Arm hielt sie einen Jungen, der drei oder vier Jahre alt war, und sich ängstlich an sie presste. Der Mann und die Frau trugen Mäntel und zu ihren Füßen stand ein Koffer. Niemand hätte Lucy erklären müssen, wer das Kind war. Sie hatte Nathan sofort erkannt. Die Stimme des jungen Mannes zitterte, als er sprach. »Wir wollten uns verabschieden, Vater«, sagte er und blickte auf das Kind. »Louisa und ich möchten Nathan nicht hier großziehen. Wir möchten unser eigenes Leben führen.«
    »Das Thema hatten wir doch schon, Jonathan. Mach dich nicht lächerlich. Dein Platz und der des Kindes sind hier. Nur hier kann Nathan auf seine Aufgabe vorbereitet werden. Eine Aufgabe, der du dich verweigert hast. Geh auf dein Zimmer und zieh dich um, dann nimm gefälligst deinen Platz ein. Und du …« Sein Blick glitt zu der Frau an der Seite seines Sohnes. »Du solltest ebenfalls wissen, wo du hingehörst.«
    Die Frau drückte das Kind fester an sich, das daraufhin zu wimmern begann. Sofort lockerte sie den Griff und sprach beruhigend auf den Jungen ein. Batiste betrachtete die Szene mit angewiderter Miene.
    »Es ist uns ernst, Vater. Du weißt, dass deine Ziele nicht die meinen sind, und ich möchte nicht, dass mein Sohn so aufwächst wie ich. Du bist mein Vater und ich will trotz allem, was passiert ist, nicht, dass wir uns im Streit trennen. Du weißt genauso gut wie ich, dass unser Verhältnis nie das beste war. Ich möchte dir keine Schuld an Mutters Unglück geben, aber jetzt, wo sie tot ist, wird es auch für mich Zeit zu gehen. Ich …«
    Batistes Blick brachte ihn zum Schweigen. Lucy sah in zwei eiskalte Augen und das Blut in ihren Adern gefror. Sie hatte Angst vor dem, was sie zu sehen bekommen würde und brachte es trotzdem nicht über sich, das Medaillon zuzuklappen.
    »Mit den Konsequenzen wirst du leben müssen. Du und sie.« Ein letzter vernichtender Blick traf die Frau. Batistes Sohn griff nach dem Koffer und gemeinsam verließen sie fluchtartig den Saal.
    Vor der Tür atmeten sie auf. Eine Frau mittleren Alters stand in dem Flur und knetete nervös ein Taschentuch zwischen den Händen. »Er lässt euch gehen?«, fragte sie. Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Ich glaube schon«, antwortete er mit Zweifel in der Stimme.
    »Dann schnell, das Taxi wartet vor dem Tor.« Die Frau blieb in der ausladenden Eingangstür stehen und winkte den Fliehenden hinterher, die dem eisenbeschlagenen Tor zustrebten, das in der Dunkelheit nur schlecht zu erkennen war.
    Sie hatten noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich zwei schwarze Gestalten aus den Büschen schälten, die den Wegesrand säumten. Die Frau in der Tür schrie leise auf und wollte durch die Tür stürzen, offenbar um den dreien zu Hilfe zu eilen, als ein Mann sie ins Haus

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