Gestaendnis im Orchideengarten
nicht riskieren, vor seinem Großvater als Versager dazustehen. Auch nicht Sara zuliebe.
Diese mutige, wunderbare Frau, die sich von Gott und der Welt verlassen fühlte.
Er konnte ihr nur sein Mitgefühl anbieten und sie spüren lassen, dass es jemanden gab, der sie verstand, der wusste, wie schmerzlich alles war. Und ihr dann realistische Möglichkeiten eröffnete, wie es für sie weitergehen konnte.
„Ich kann Sie gut verstehen“, sagte er leise. „Mehr als Sie ahnen. Als ich sechzehn war, kamen meine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Bis dahin lebten wir in einem kleinen Haus in einem Londoner Vorort. Als Kind bekommt man wenig von den Sorgen und Nöten der Eltern mit, meine Schwester und ich hatten eine sehr glückliche Kindheit. Ich fühlte mich von den Eltern immer geliebt und akzeptiert. Wir hatten zwar nicht dauernd die neuesten Elektronikgeräte, aber die anderen Kinder kamen gern zu uns, weil es dort herzlich zuging. Bei uns zu Hause wurde viel gelacht, wir hörten Musik, es ging sehr lebhaft zu.“
Er lächelte und gab Sara einen kleinen Stups auf die Nase. „Wenn ich manchmal durch diesen Teil Londons fahren muss, spüre ich immer einen Stich im Herzen. Ich vermisse unser altes Haus, weil ich dort sehr glücklich war.“
Sara rang nach Luft und berührte ihn sacht am Arm. „Wie furchtbar, beide Eltern bei einem Unfall zu verlieren. Es ist gut, dass Sie so schöne Erinnerungen an sie haben.“ Sie lächelte einfühlsam. „Erzählen Sie mir von ihnen. Wie war Ihr Dad? Was hat er gemacht?“
Nun rang Leo nach Luft. Mit der Frage hatte er nicht gerechnet.
„Er war Architekt bei einer großen Firma, doch seine Leidenschaft war das Malen. Nachts bin ich oft aus dem Bett geschlichen, um ihn zu beobachten, wie er an der Staffelei arbeitete. Er malte Landschaftsbilder, Porträts, alles Mögliche. Seine Hand bewegte sich so rasant über die Leinwand, dass einem fast schwindlig werden konnte. Meist war er so vertieft in seine Welt, dass er mich nicht bemerkte. Er war ein passionierter Maler.“
Mit weicher Stimme fügte Leo hinzu: „Und ein paar Stunden später streifte er seine wahre Haut ab, zog sich einen dunklen Anzug an und verschwand in die Welt des Big Business. Zuerst stieg er in einen Bus, dann nahm er die Tube und schließlich landete er in einem schicken Bürohaus mit schicken Leuchtröhren an den Wänden, wo er acht Stunden lang Pläne für weitere schicke Bürohäuser oder Parkplätze entwarf. Jahrelang nahm er dieses schizophrene Leben in Kauf, weil er eine Familie hatte, die er liebte und für die er sorgen musste. Ich bewundere ihn noch heute dafür.“
„Er muss ein außergewöhnlicher Mensch gewesen sein“, flüsterte Sara und drückte Leos Hand.
Leo nickte lächelnd, dankbar, dass er jemandem von seiner geliebten Familie erzählen konnte. Er vermisste sie noch immer schmerzlich, doch darüber sprach er sonst nie, auch nicht mit seiner Schwester oder mit Tante Arabella. „Sie waren beide ganz außergewöhnliche Menschen“, sagte er.
Seine Augen funkelten voller Leidenschaft, etwas in seinem Innern schien ihn anzufeuern. Sara erschrak fast ein bisschen. „Und genau aus diesem Grund werde ich der Familie meiner Mutter beweisen, dass sie im Unrecht waren, dass meine Mutter die richtige Lebensentscheidung getroffen hat und keinen besseren Mann als meinen Vater finden konnte. Er war ein toller Mensch und liebte meine Mutter abgöttisch. Er hat es nicht verdient, verachtet zu werden, von niemandem. Ich werde meinem Großvater zeigen, dass der Sohn seiner verstoßenen Tochter Respekt verdient hat, genau wie mein Vater.“
„Was meinen Sie damit?“, fragte sie leise und gefasst, während sie versuchte, sich seiner Intensität und Spannung zu entziehen, die die Luft zwischen ihnen zum Knistern brachte.
„Am Freitag bin ich von meiner Tante zu einem Familientreffen der Rizzis eingeladen, der Vorstand will am Mittag im Kingsmede Manor Hotel zusammentreten. Tante Arabella war die Einzige, die mit meiner Mutter Kontakt hielt, nachdem sie verstoßen wurde. Nach dem Unfall nahm sie meine Schwester und mich bei sich auf. Ich werde am Freitag alle sehen, sogar meinen Großvater Paolo Rizzi. Leicht wird es nicht, doch ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Er muss sich anhören, was ich zu sagen habe.“
Entschlossen führ er fort: „Ich werde es nicht versäumen, zu zeigen, wie professionell und erfolgreich mein Unternehmen ist. Ein wenig Großspurigkeit muss erlaubt sein.
Weitere Kostenlose Bücher