Geständnis unterm Mistelzweig
spielen durfte. Er war betrübt über den Zustand der Welt und darüber, dass ihm nicht erlaubt wurde, ihn zu verbessern.
Während Chloe ihn ansah, unternahm Egan einen letzten Versuch, sie umzustimmen. Er berührte ihre Wange. “Chloe, bei Weihnachten geht es um Vertrauen, um den Glauben, dass ohne jeden Grund etwas Wunderbares aus dem Nichts erscheinen kann, nur für dich.”
Chloe befürchtete, dass etwas Wunderbares gerade für sie erschienen war, und dass es -- in seiner Gestalt -- ausgerechnet in einem hell erleuchteten Warenhaus vor einem Regal voller Puppenkleider stand. Sie schmolz förmlich dahin. Auf der ganzen Welt gab es keinen Mann wie diesen. Es konnte keinen geben, dessen war sie sich völlig sicher.
Für einen kurzen Augenblick vergaß Chloe ihre Vorsicht. Sie beugte sich vor und gab Egan einen Kuss. Es störte sie nicht, dass andere Kunden auf sie aufmerksam wurden, und es machte ihr auch nichts aus, ob sie Egan aus dem Gleichgewicht brachte. Es war ihr gleichgültig, was dieser Kuss ihm sagen mochte.
Mit einer Ausnahme. “Ich kann das nicht zulassen”, sagte Chloe bedauernd, als ihr schließlich die beiden kleinen Kinder bewusst wurden, die nur wenige Meter entfernt standen und die beiden Erwachsenen anstaunten.
“Du kannst es wirklich nicht?” fragte Egan bedrückt.
“Nein. Alles, was ich dir gesagt habe, gilt immer noch. Ich bin dafür verantwortlich, dass die Mädchen im Heim lernen, auf die Aufmerksamkeiten irgendeines sagenhaften dicken Menschenfreundes verzichten zu können, der Jahr für Jahr durch den Schornstein heruntergerutscht kommt oder auch nicht. Wer bereitet ihnen Weihnachten, wenn du nicht mehr da bist, um es zu tun, Egan? Ich kann nicht zulassen, dass sie sich an etwas gewöhnen, das ihnen beim nächsten oder übernächsten Weihnachtsfest wieder weggenommen wird.”
“Aber wenn das nicht geschieht?”
“Ist dir nicht bewusst, wie sehr das Leben dieser Mädchen auf der Kippe steht? Ich kämpfe um sie. Aber wenn es hart auf hart geht und der Staat sagt, sie müssten anderswo unterkommen, kann ich sie nicht im Heim behalten. Wenn sie dann bei unfähigen Eltern oder in einer Verwahranstalt unterkommen oder in einem Pflegeheim sind, wie ich es kennen gelernt habe, wer wird dann für sie den Weihnachtsmann spielen? Du? Du wirst nicht einmal wissen, wo sie abgeblieben sind.”
“Aber wenigstens haben sie die Erinnerung an ein perfektes Weihnachten, an ein Weihnachtsfest, bei dem alle ihre Träume Wirklichkeit wurden.”
Chloe sah Egan eine ganze Weile an. Es war eine große Versuchung. Bestimmt ahnte Egan nicht, wie groß sie war. Aber dann erinnerte sie sich, wie sie Weihnachten um Weihnachten verbracht hatte, als sie im Alter dieser Kinder war. Sie hatte gewartet und gehofft, bis sie ihre Lektion gelernt hatte.
Bedauernd schüttelte Chloe den Kopf. “Es würde nicht genügen. Sie müssen lernen, dass sie ihre Träume selbst verwirklichen müssen. Das müssen sie jetzt lernen, wenn es noch nicht so wehtut.”
Egan seufzte. Es klang müde, geschlagen. “Nun gut.”
“Nun gut?”
“Ich habe kein Recht, so auf dich einzureden. Ich vertraue dir. Und ich möchte dich nicht unglücklich machen. Dafür bedeutest du mir zu viel.”
“Tatsächlich?”
“Was denkst du?”
Chloe dachte, sie sei wahrscheinlich die glücklichste Frau auf der Welt. Wie seltsam, dass ihr das gerade hier aufging, während Adventsmusik durch den Raum schallte und zwei erstaunte kleine Fremde neben ihnen standen. Noch seltsamer war es, dass dies geschah, nachdem sie Egan gesagt hatte, man könne nicht alles haben, was man sich wünsche.
“Ich denke, du bist … etwas ganz Besonderes”, sagte Chloe mit belegter Stimme.
“Für den Augenblick muss das wohl genügen.” Egan streckte den Arm aus. “Komm, lass uns gehen. Es wird Zeit, dass ich dich nach Hause bringe.”
4. KAPITEL
E ine Woche vor Weihnachten fand Egan das Kätzchen. Er war in einen Durchgang getreten, um ein Mietshaus von der Seite zu betrachten, das er renovieren sollte. Weil er eifrig nach oben schaute, hätte er das kleine Waisenkind beinahe nicht gesehen. Aus den Augenwinkeln nahm er etwas wahr, das wie die abgerissene Hälfte des schwarzen Ohrenschützers eines Kindes aussah, die mit dem Müll weggeworfen worden war. Doch dann begann der Ohrenschützer zu zittern und kläglich zu miauen. Ohne lange nachzudenken bückte sich Egan, hob das Kätzchen auf und steckte es unter seine Jacke.
Er verbrachte noch zwei
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