Geständnis unterm Mistelzweig
Minuten damit, die Abfälle zu durchsuchen, ob dort vielleicht eine verschreckte Katzenmutter steckte, die sich wegen seiner Anwesenheit nicht traute, ihr Kind zu retten. Aber in dem Durchgang war kein weiteres Lebewesen. Woher auch immer das Kätzchen gekommen war, es -- oder genauer: sie, wie er bald feststellte --, war allein und fast erfroren.
Egan ging ins Haus und untersuchte seinen Fund. Das Tierchen wurde allmählich wärmer und aktiver. Egan schloss daraus, dass er es noch rechtzeitig gerettet hatte. Es war winzig und mager, hatte aber bereits genug Fleisch auf den Knochen, um der Kälte widerstehen zu können. Das Fell war völlig schwarz, abgesehen von den winzigen weißen Pfötchen und einem weißen herzförmigen Fleck genau unter dem Kinn. Wenn das Tier sauber und der Pelz wieder locker war, würde es sehr niedlich aussehen. Im Moment wirkte es allerdings so wie die Gassenkatze, die es war.
Sofort dachte Egan an Chloe.
Doch dann sagte er sich, dass Chloe nie auch nur das leiseste Interesse dafür gezeigt hatte, ein Haustier zu besitzen. Während ihres ausgedehnten Weihnachtseinkaufsbummels waren sie auf dem Rückweg zum Auto an einem Tiergeschäft vorbeigekommen. Er war stehen geblieben, weil er einfach nicht in der Lage war, an Tieren vorbeizugehen, ohne sie zu bewundern, und er hatte Chloe dazu gebracht, ebenfalls anzuhalten. Im Schaufenster hatten drei siamesische Kätzchen miteinander gespielt, und er hatte über ihre Bewegungen gelacht. Doch Chloe hatte stumm -- wahrscheinlich gelangweilt -- neben ihm gestanden.
“Sie werden vor Geschäftsschluss Käufer gefunden haben”, hatte er gesagt. “Wollen wir hineingehen und fragen, ob sie uns eines abgeben?”
Sie hatte auf ihre Uhr geschaut. “Vielleicht ein anderes Mal.”
“Eine Frau, die keine Katzen mag?”
Sie hatte ihn mit verschlossener Miene angesehen. “Ich kann wirklich nicht bleiben. Wir haben nachher eine Personalversammlung.”
Dieses Kätzchen war mit den Tieren im Laden nicht zu vergleichen. Es war weder rasserein noch wohl genährt. Es war schmutzig, traurig, und es fror.
Und doch dachte Egan weiterhin an Chloe.
Vielleicht lag es daran, dass auch Chloe ein Waisenkind gewesen war. Natürlich hatte niemand sie in der Kälte ausgesetzt. Ihre Grundbedürfnisse waren befriedigt worden. Aber niemand hatte sich darum gekümmert, dass sie innerlich fror, dass sie sich nach Wärme und Liebe sehnte und nach einer Familie, die nicht mit den Jahreszeiten wechselte.
Das Kätzchen miaute, rollte sich in Egans Hand zusammen und schnurrte. Er hielt das Tier an seine Wange. Es öffnete die Augen. Egan kam es so vor, als schaue er in Chloes Augen in einem Moment, in dem sie besonders verletzlich war.
“Wünschst du dir ein Heim?” fragte Egan leise. “Vielleicht kenne ich genau den richtigen Ort für dich.”
Das Kätzchen schloss die Augen und schlief ein.
Gary O’Brien war in der vergangenen Woche vorbeigekommen, um die Fenster, die ersetzt werden sollten, auszumessen. Bei dieser Gelegenheit hatte er Chloe gefragt, welches Parfüm wohl für die Frau richtig sei, mit der er einige Male ausgegangen war. Joe hatte seine Arbeit beim Ausbau eines Büros unterbrochen und Chloe erzählt, was Dick Dottie zu Weihnachten schenkte. Und Rick, der gar nicht mit seinen Brüdern zusammen in der Baufirma arbeitete, hatte sie eines Abends angerufen und ihr sechs Karten für ein griechisches Essen in der orthodoxen Kirche angeboten, das im nächsten Monat stattfinden sollte.
“Wie sind Sie denn an so viele Karten herangekommen?”
“Ich habe letztes Jahr einem Mitglied der Gemeinde bei der Einbürgerung geholfen. Der Mann dachte, Sie und einige Ihrer Mädchen hätten vielleicht Spaß daran, an dem Essen teilzunehmen.”
Natürlich würde sie Spaß daran haben. Chloe hatte bereits eine entsprechende Mitteilung an das Schwarze Brett gehängt, und sie hatte vor, die Mädchen zu begleiten. Ob Egan Rick wohl von ihrer geheimnisvollen Abstammung erzählt und Rick deshalb an sie gedacht hatte?
Sie fragte sich verwundert, warum Egans Brüder sich an sie wandten. Und nicht nur sie, sondern auch sein Vater tat das. Er war vor einigen Tagen vorbeigekommen, um sich das Ergebnis der Renovierungsarbeiten anzusehen, und hatte sie zu einem Kaffee eingeladen. Und Dottie hatte sie während der vergangenen Wochen dreimal über schneebedeckte Straßen zu ihrem Landhaus gefahren, wo sie gebacken und gekocht und -- ja, tatsächlich -- Kissenbezüge für einen
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