Geständnis
dieser
untergetaucht war. Da es bisher keinen Haftbefehl gebe, sei Boyette
auch nicht zur Festnahme ausgeschrieben.
Es war offenkundig, dass Robbie den Augenblick genoss. Sein
Auftritt wurde live übertragen. Seine Zuhörer waren ihm
ausgeliefert, lauschten gebannt und gierten nach jeder Einzelheit.
Niemand durfte ihn unterbrechen oder seine Worte infrage stellen.
Es war seine Pressekonferenz, und endlich hatte er das letzte Wort.
Ein solcher Moment war der Traum jedes Anwalts.
Mehrfach an diesem Vormittag ritt Robbie viel zu lange auf
einem Thema herum, angefangen von seinen gefühlsduseligen,
weitschweifigen Reden über Donte Drumm. Aber seinem Publikum war
nichts zu langweilig. Als er schließlich auf die Tat zu sprechen
kam, wurde ein Foto von Nicole gezeigt, einer auffallend hübschen
Highschoolschülerin.
Reeva sah sich die Übertragung an. Das Telefon hatte sie aus
dem Schlaf gerissen. Die halbe Nacht hatten sie sich wegen des
Feuers in der Tier- und Futtermittelhandlung um die Ohren
geschlagen, wegen eines Brandes, der schnell unter Rontrolle
gebracht wurde und viel schlimmer hätte ausgehen können. Es war
offenkundig Brandstiftung, eine verbrecherische Handlung schwarzer
Gangster, die sich an der Familie von Nicole Yarber rächen wollten.
Wallis war noch im Laden, und Reeva war allein.
Sie weinte, als sie das Gesicht ihrer Tochter sah, gezeigt von
einem Mann, den sie hasste. Sie weinte, kochte vor Wut und litt.
Reeva war verwirrt, wurde von Zweifeln geplagt, wusste nicht, was
sie denken sollte. Der Anruf von Richter Henry am Vorabend hatte
ihren Blutdruck so in die Höhe getrieben, dass sie in der
Notaufnahme gelandet war. Als dann noch das Feuer dazukam, fiel sie
praktisch ins Delirium.
Sie hatte Richter Henry mit Fragen bombardiert. Nicoles Grab?
Skelettierte Überreste? Ihre Kleidung, ihr Führerschein, ihre
Kreditkarte, und all das oben in Missouri? Sie war gar nicht bei
Rush Point in den Red River geworfen worden? Und noch schlimmer -
Drumm war nicht der Mörder?
„ Das ist wirklich wahr, Mrs. Pike“, sagte der Richter geduldig.
„Es ist alles wahr. Es tut mir leid. Ich weiß, das ist ein
Schock.“
Ein Schock? Reeva war fassungslos und weigerte sich mehrere
Stunden lang, ihm zu glauben. Sie schlief kaum, aß nicht und rang
immer noch um Antworten, als sie den Fernseher einschaltete und
Flak, diesen eitlen Pfau, live auf CNN über ihre Tochter sprechen
hörte.
Draußen in der Einfahrt lauerten Reporter, aber alle Türen
waren abgeschlossen, die Vorhänge zugezogen, die Jalousien
heruntergelassen, und auf der Veranda vor dem Haus hielt ein Cousin
von Wallis mit einer Schrotflinte Kaliber .12 Wache. Reeva hatte
genug von den Medien. Sie hatte nichts zu sagen. Sean Fordyce saß
in einem Motel im Süden der Stadt fest und kochte vor Wut, weil sie
nicht vor der Kamera mit ihm reden wollte. Sie fühlte sich von ihm
bloßgestellt.
Er hatte sie an ihre Vereinbarung erinnert, an den
unterschriebenen Vertrag.
„ Dann verklagen Sie mich doch, Fordyce“, hatte sie nur
erwidert.
Als sie Robbie Flak im Fernsehen sah, gestattete sie sich zum
ersten Mal, das Unvorstellbare zu denken. War Drumm unschuldig
gewesen? Hatte sie die letzten neun Jahre lang den Falschen
gehasst? Hatte sie den Falschen sterben sehen?
Und was war mit der Beerdigung? Jetzt, wo ihre Kleine gefunden
worden war, musste sie bestattet werden, wie es sich gehörte. Aber
sie hatten keine Kirche mehr. Wo sollte die Beerdigung stattfinden?
Reeva fuhr sich mit einem feuchten Tuch über das Gesicht und
murmelte vor sich hin.
Schließlich kam Robbie auf das Geständnis zu sprechen. Hier
geriet er allmählich in Fahrt und ließ sich zu kontrollierter Wut
hinreißen. Die Wirkung war beeindruckend. Im Sitzungssaal war es
mucksmäuschenstill.
Carlos warf ein Foto von Detective Drew Rerber auf die
Leinwand, und Robbie begann mit einer dramatischen Ankündigung:
„Und hier ist der Hauptarchitekt des Fehlurteils.“
Drew Rerber sah in seinem Büro zu. Seine Nacht zu Hause war
eine Qual gewesen. Nach der Besprechung bei Richter Henry hatte er
eine lange Spritztour unternommen und versucht, sich ein gutes Ende
dieses Albtraums auszudenken. Vergeblich. Gegen Mitternacht setzte
er sich mit seiner Frau an den Küchentisch und redete sich alles
von der Seele: das Grab, die Knochen, die Identifizierung, der
unvorstellbare Gedanke, dass sie „offenbar“ den Falschen erwischt
hatten, Flak mit seinen Gerichtsverfahren und seiner
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