Geständnis
bestimmt in Tränen
ausbrechen“, sagte Boyette. „Der einzige andere Beweis, den ich
habe, ist Nicole selbst. Und je länger ich an sie denke, umso mehr
gelange ich zu der Überzeugung, dass wir sie in Frieden lassen
sollten.“
Keith legte den Ring auf den Tisch. Boyette nahm ihn an sich
und schob dann unvermittelt seinen Stuhl zurück, nahm seinen Stock
und stand auf. „Ich möchte nicht als Lügner dastehen, Reverend.
Gehen Sie nach Hause, und vergnügen Sie sich mit Ihrer
Frau.“
„ Sie sind ein Lügner, ein Vergewaltiger, ein Mörder, und Sie
sind ein Feigling, Travis. Tun Sie doch einmal im Leben etwas
Gutes. Und zwar schnell, bevor es zu spät ist.“
„ Lassen Sie mich in Ruhe.“ Boyette öffnete die Tür und schlug
sie hinter sich zu.
Chapter 6
Die Schuldtheorie der Staatsanwaltschaft gründete sich nicht
zuletzt auf die verzweifelte Hoffnung, dass Nicoles Leiche eines
Tages gefunden werden würde. Sie konnte doch nicht für immer und
ewig verschwunden bleiben. Der Red River würde sie am Ende
preisgeben, ein Angler oder ein Bootskapitän oder vielleicht ein
Kind, das im seichten Wasser spielte, würde sie entdecken und die
Behörden informieren. Nachdem die Überreste identifiziert wären,
hätte man endlich das letzte Mosaiksteinchen in der Hand. Der Fall
wäre gelöst. Es gäbe keine Fragen, keine Zweifel mehr. Polizei und
Staatsanwaltschaft könnten erleichtert aufatmen und ihre Akte
schließen.
Die Verurteilung war auch ohne Leiche kein Problem gewesen.
Der Staatsanwalt hatte sich auf Donte Drumm eingeschossen und
hartnäckig auf ein Verfahren gedrängt, weil er fest damit rechnete,
dass die Leiche alsbald auftauchen würde. Aber inzwischen waren
neun Jahre vergangen, und der Fluss hatte nicht kooperiert.
Hoffnungen, Gebete und Träume waren längst hinfällig geworden.
Während bei dem einen oder anderen unbeteiligten Prozessbeobachter
Zweifel aufkamen, ließen sich diejenigen, die Dontes Todesstrafe zu
verantworten hatten, nicht von ihrem Urteil abbringen. Jahre des
Tunnelblicks hatten sie nur darin bestärkt, dass sie den Richtigen
hatten. Außerdem stand einiges auf dem Spiel. Sie hatten viel zu
viel investiert, um die eigenen Theorien und Entscheidungen jetzt
infrage zu stellen.
Der Bezirksstaatsanwalt war ein Mann namens Paul Koffee, ein
knallharter Karrierejurist, der über zwanzig Jahre lang ohne
nennenswerte Opposition stets wiedergewählt worden war. Er war
früher bei den US-Marines gewesen, nahm jeden Kampf gern an und
ging in der Regel als Sieger hervor. Hauptthema seiner Website war
seine hohe Verurteilungsrate, die er zu Wahlkampfzeiten in
Rundmails als Werbung für sich nutzte. Sympathie für die
Verurteilten wurde selten gezeigt. Wie in provinziellen Bezirken
üblich, wurde die tägliche Routine aus Junkies und Autodieben nur
selten von spektakulären Morden und/oder Vergewaltigungen
unterbrochen. Sehr zu seinem - gut verborgenen - Verdruss hatte
Koffee in seiner gesamten Laufbahn nur zwei Kapitalverbrechen
vorzuweisen, für Texas eine armselige Bilanz. Der Mord an Nicole
Yarber war sein erster und prominentester Fall gewesen. Drei Jahre
später, im Jahr 2002, hatte Koffee erneut die Todesstrafe
durchgesetzt, in einem Fall, der es ihm freilich mehr als
leichtgemacht hatte: Nach einem missglückten Drogendeal waren
gleich mehrere Leichen auf einer Landstraße
zurückgeblieben.
Bei diesen beiden Fällen würde es bleiben, denn aufgrund eines
Skandals musste Koffee seinen Posten abgeben. Er hatte öffentlich
verkündet, dass er sich in zwei Jahren nicht wieder zur Wahl
stellen würde. Seine Frau, mit der er zweiundzwanzig Jahre
verheiratet war, hatte ihn - für Außenstehende völlig unerwartet -
unter großem Publicityrummel verlassen. Drumms Hinrichtung würde
ein letzter Augenblick des Triumphes für Paul Koffee
werden.
Treu an seiner Seite stand Drew Kerber, der nach seiner
beispielhaften Arbeit im Fall Drumm zum leitenden Detective
befördert worden war, eine Position, auf die er immer noch sehr
stolz war. Kerber war knapp sechsundvierzig und damit zehn Jahre
jünger als der Staatsanwalt, und obwohl sie häufig eng
zusammenarbeiteten, bewegten sie sich in unterschiedlichen
gesellschaftlichen Kreisen. Kerber war Polizist, Koffee Jurist. In
Slone gab es klare Grenzen, genauso wie in den meisten anderen
Kleinstädten der Südstaaten.
Beide hatten Donte Drumm frühzeitig angekündigt, dass sie
dabei sein würden, wenn er in die Todeskammer komme.
Kerber war
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