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Geständnis

Titel: Geständnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bernd
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während
sie auf dem Rasen vor dem Gerichtsgebäude umherliefen. Reporter
machten Fotos und kritzelten in ihre Notizbücher. Kamerateams aus
Slone und Tyler drängten sich vor dem Rednerpult auf der Treppe des
Gerichtsgebäudes. Um 12.15 Uhr trat Mr. Oscar Betts, Vorsitzender
des Ortsverbandes der Bürgerrechtsorganisation NAACP, vor die
Mikrofone, dankte allen für ihr Kommen und kam dann sofort zur
Sache. Er erklärte Donte Drumm für unschuldig und sagte, seine
Hinrichtung sei nichts anderes als ein gesetzlich sanktionierter
Lynchmord. Er beschimpfte die Polizeibeamten und bezeichnete sie
als „Rassisten“ und „entschlossen, einen Unschuldigen zu töten“. Er
zog über ein Justizsystem her, das es einer ausschließlich aus
weißen Geschworenen bestehenden Jury möglich mache, einen
unschuldigen Schwarzen zu verurteilen. Dann konnte er der
Versuchung nicht mehr widerstehen und fragte die Menge: „Wie soll
man einen fairen Prozess bekommen, wenn der Staatsanwalt mit der
Richterin ins Bett steigt? Und die Berufungsgerichte behaupten, es
sei alles ordnungsgemäß abgelaufen? Das gibt es nur in Texas!“ Er
bezeichnete die Todesstrafe als Schande, als veraltetes Instrument
der Rache, das Verbrechen nicht verhindere, nicht gerecht angewandt
werde und von allen zivilisierten Ländern abgeschafft worden sei.
Auf nahezu jeden seiner Sätze folgten langer Applaus und Gebrüll,
und die Menge wurde immer lauter. Betts appellierte an die
Gerichte, dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Er machte sich über
den Begnadigungsausschuss von Texas lustig. Er nannte den
Gouverneur einen Feigling, weil dieser die Hinrichtung nicht
verhindere. Er warnte vor Unruhen in Slone, East Texas und
vielleicht sogar im ganzen Land, wenn der Staat sein Vorhaben
wahrmache und einen unschuldigen Schwarzen hinrichte.
    Betts gelang es meisterhaft, an Gefühle zu appellieren und
Spannungen zu erzeugen. Als er zum Ende kam, schlug er einen
anderen Kurs ein und forderte die Menge auf, sich ruhig zu
verhalten und an diesem und am Abend des nächsten Tages zu Hause zu
bleiben. „Mit Gewalt erreichen wir nichts“, bekräftigte er. Dann
stellte er Reverend Johnny Canty vor, den Pfarrer der
Bethel-African-Methodist-Kirche, der die Familie Drumm seit über
zwanzig Jahren angehörte. Reverend Canty überbrachte eine Nachricht
der Familie. Sie bedanke sich für die Unterstützung. Ihr Glaube
mache sie stark, und sie bete um ein Wunder. Roberta Drumm gehe es
den Umständen entsprechend gut. Sie habe vor, morgen in den
Todestrakt des Gefängnisses zu gehen und dort bis zum Schluss zu
bleiben. Dann bat Reverend Canty um Ruhe für ein langes,
wortgewaltiges Gebet, das er mit der Bitte um Mitgefühl für die
Familie von Nicole Yarber begann, eine Familie, die den Tod ihres
unschuldigen Kindes habe erleiden müssen. Genau wie die Familie
Drumm, der dies jetzt bevorstehe. Er dankte Gott dem Herrn für das
Geschenk des Lebens und die Verheißung der Ewigkeit für alle
Menschen. Er pries den Allmächtigen für Seine Gesetze, deren
einfachste und wichtigste die Zehn Gebote seien, von denen eines
verlange: „Du sollst nicht töten.“ Er betete für jene „anderen
Christen“ unter Gottes Sonne, die die Bibel verdrehten und als
Waffe benutzten, um ihren Nächsten umzubringen. „Herr, vergib
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
    Canty hatte lange an seinem Gebet gearbeitet, und er sprach es
langsam, mit perfekt gesetzten Pausen und völlig ohne Notizen. Die
Menge unterstützte ihn mit lauten „Amen“-Rufen. Ein Ende war nicht
in Sicht, denn es war eher eine Rede als ein Gebet, und Canty
genoss den Moment. Nachdem er für Gerechtigkeit gebetet hatte,
betete er für Frieden, aber nicht für den Frieden, der Gewalt
scheue, sondern für den Frieden, an dem es einer Gesellschaft
mangele, in der zahllose junge Schwarze im Gefängnis säßen, in der
sie weitaus häufiger hingerichtet würden als Menschen anderer
Hautfarbe, in der Verbrechen, die von Schwarzen begangen würden,
als weitaus schwerer angesehen würden als die gleichen Verbrechen,
von Weißen begangen. Er betete für Barmherzigkeit, für Vergebung,
für Stärke. Wie fast alle Geistlichen beging Canty den Fehler, zu
lange zu reden. Sein Publikum wurde langsam unruhig, doch plötzlich
hatte er es wieder im Griff. Er begann, für Donte zu beten,
„unseren verfolgten Bruder“, einen jungen Mann, der vor neun Jahren
seiner Familie entrissen und in ein „elendes Loch“ geworfen worden
sei, dem kein

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