Geständnis
Mann lebend entkomme. Neun Jahre ohne seine Familie,
ohne seine Freunde, neun Jahre, in denen er weggesperrt gewesen sei
wie ein gefährliches Tier. Neun Jahre, in denen er für ein
Verbrechen gebüßt habe, das ein anderer begangen habe.
Richter Elias Henry stand am Fenster der kleinen juristischen
Bibliothek im zweiten Stock des Gerichtsgebäudes und beobachtete
das Geschehen. Die Menge war unter Kontrolle, als der Pastor
betete, doch die nervöse Unruhe der Menschen machte dem Richter
Angst.
Slone war im Laufe der Jahrzehnte so gut wie nie von
Rassenkonflikten heimgesucht worden, was vor allem ein Verdienst
des Richters war, der dies anderen gegenüber jedoch nie besonders
hervorhob. Vor fünfzig Jahren, als junger Anwalt in Geldnöten,
hatte er eine Teilzeitstelle als Reporter und Redakteur für die
Slone Daily News angenommen, damals eine erfolgreiche Wochenzeitung
mit hoher Auflage. Inzwischen war aus ihr eine Tageszeitung
geworden, die ums Überleben kämpfte und erheblich weniger Leser
hatte. Anfang der 1960er Jahre gehörte die Zeitung zu den wenigen
Publikationen in East Texas, die sich der Tatsache bewusst waren,
dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung schwarz war. Elias
Henry schrieb gelegentlich Artikel über schwarze Sportmannschaften
und die Geschichte der Schwarzen, was auf allgemeines Unverständnis
stieß, aber nicht offen verurteilt wurde. Seine Leitartikel dagegen
sorgten für Empörung unter den Weißen. Er erklärte in
allgemeinverständlicher Sprache, was das Urteil des Obersten
Gerichtshofs im Fall Brown gegen Board of Education wirklich
bedeutete, und kritisierte die Rassentrennung an den öffentlichen
Schulen in Slone und ehester County. Da Henry immer mehr an
Einfluss gewann und der Gesundheitszustand des Besitzers sich immer
mehr verschlechterte, sprach sich die Zeitung für das Wahlrecht von
Schwarzen aus und forderte ein Ende der Rassendiskriminierung in
den Wohnbezirken und bei den Löhnen. Henrys Argumente waren
überzeugend, seine Schlussfolgerungen einleuchtend, und den
meisten, die seine Artikel lasen, war sofort klar, dass er weitaus
intelligenter war als sie selbst. 1966 kaufte er die Zeitung und
behielt sie die nächsten zehn Jahre. Außerdem wurde er ein
erfolgreicher Anwalt und Politiker und galt in Slone als Vorbild.
Viele Weiße waren anderer Meinung als Henry, doch nur wenige
kritisierten ihn in der Öffentlichkeit. Als dann auf Geheiß von
oben die Rassentrennung an den Schulen aufgehoben wurde, hielt sich
der Widerstand der weißen Bevölkerung in Slone nach Jahren
geschickter Beeinflussung durch Henry in engen Grenzen.
Nach seiner Wahl zum Richter verkaufte er die Zeitung und
konzentrierte sich auf sein neues Amt. Still und leise, aber sehr
effektiv kontrollierte er ein Justizsystem, das dafür bekannt war,
mit aller Härte jene zu bestrafen, die gewalttätig waren, Strenge
walten zu lassen gegenüber jenen, die der Führung bedurften, und
Mitgefühl zu zeigen für jene, die eine zweite Chance brauchten. Als
Vivian Grale statt seiner ins Richteramt gewählt wurde, erlitt er
einen Nervenzusammenbruch.
Wenn er auf dem Richterstuhl gesessen hätte, wäre Donte Drumm
nicht verurteilt worden. Henry hätte innerhalb kürzester Zeit von
der Verhaftung erfahren. Er hätte sich das Geständnis angesehen und
die Umstände, unter denen es abgelegt worden war, und Paul Koffee
zu einem Gespräch unter vier Augen in das Richterzimmer gerufen, wo
er dem Staatsanwalt ins Gesicht gesagt hätte, dass der Fall kein
Fall sei. Das Geständnis sei eindeutig verfassungswidrig, den
Geschworenen dürfe es nicht vorgelegt werden. Suchen Sie weiter,
Koffee, denn den Mörder müssen Sie erst noch finden.
Richter Henry sah auf das Gedränge vor dem Gerichtsgebäude
hinunter. Kein einziges weißes Gesicht, bis auf die Reporter. Die
Menge bestand nur aus wütenden Schwarzen. Die Weißen waren
untergetaucht und hatten kein Verständnis für die Aktion. Seine
Stadt war in zwei Lager gespalten, ein Zustand, den er sich nie
hatte vorstellen können.
„ Gott steh uns bei“, murmelte er.
Der nächste Redner war Palomar Reed, der die Abschlussklasse
der Highschool besuchte und zweiter Vorstand der Schülervertretung
war. Er begann mit der obligatorischen Verurteilung der
Todesstrafe, auf die eine lange, weitschweifige Tirade gegen
Hinrichtungen folgte, vor allem gegen jene, die in Texas üblich
waren. Die Menge hörte ihm gebannt zu, obwohl er kein geübter
Redner war, denn schon nach
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