Geständnis
massierte er sich die
Schläfen.
„ Sie standen schon mit zwölf Jahren das erste Mal vor
Gericht?“, fragte Keith.
Das nervöse Zucken. „Ungefähr in diesem Alter. Ja, ich war
zwölf. Ich kann mich noch daran erinnern, dass der Richter sagte,
ich sei viel zu jung für eine Karriere als Krimineller. Er hatte ja
keine Ahnung.“
„ Was hatten Sie angestellt?“
„ Wir sind in ein Geschäft eingebrochen und haben alles mitgehen
lassen, was wir tragen konnten. Bier, Zigaretten, Süßigkeiten,
Wurst, Chips. Wir haben ein richtiges Gelage veranstaltet und uns
volllaufen lassen. Alles kein Problem, bis sich jemand die
Aufnahmen von der Überwachungskamera angesehen hat. Es war mein
erstes Vergehen, daher bekam ich Bewährung. Mein Mitangeklagter war
Eddie Stuart. Er stand nicht zum ersten Mal vor Gericht. Sie haben
ihn in eine Besserungsanstalt für straffällig gewordene Jugendliche
gesteckt, und ich habe ihn nie wiedergesehen. Wir wohnten in einem
ziemlich üblen Teil der Stadt, in dem es von harten Jungs nur so
wimmelte. Entweder machten wir Schwierigkeiten, oder wir steckten
in Schwierigkeiten. Darreil schimpfte immer mit mir, aber er war
fast nie da. Meine Mutter versuchte ihr Bestes, aber sie schaffte
es nicht, mit dem Trinken aufzuhören. Mein Bruder wurde
weggeschickt, als er fünfzehn war. Bei mir war es mit dreizehn so
weit. Waren Sie schon mal in einer Besserungsanstalt?“
„ Nein.“
„ Dachte ich mir. Dort schicken sie die Kinder hin, die niemand
haben will. Die meisten von ihnen sind nicht schlecht, jedenfalls
nicht, wenn sie das erste Mal hinkommen. Sie hatten nur nie eine
Chance. Zuerst kam ich in eine Anstalt in der Nähe von St. Louis,
die wie alle Besserungsanstalten bloß ein Gefängnis für Kinder war.
Ich bekam das obere Stockbett in einem riesigen Schlafsaal mit
Kindern, die in St. Louis auf der Straße gelebt hatten. Gewalt war
an der Tagesordnung. Es waren immer zu wenig Wachleute oder
Aufseher da. Wir gingen in die Schule, aber der Unterricht war ein
Witz. Wenn man überleben wollte, musste man sich einer Gang
anschließen. Jemand warf einen Blick in meine Akte und stellte
fest, dass ich missbraucht worden war, und ab da war ich leichte
Beute für die Wachleute. Nach zwei Jahren in der Hölle wurde ich
entlassen. Und jetzt frage ich Sie, Reverend, was soll ein
Fünfzehnjähriger tun, wenn er nach zwei Jahren Folter wieder auf
der Straße steht?“ Er sah Keith an, als erwartete er tatsächlich
eine Antwort.
Keith starrte auf die Straße und zuckte mit den
Achseln.
„ Das Jugendstrafrecht tut nichts anderes, als Berufskriminelle
zu züchten. Die Gesellschaft will uns fortsperren und den Schlüssel
wegwerfen, aber sie ist zu dumm, um zu kapieren, dass wir
irgendwann wieder rauskommen. Und wenn wir rauskommen, gibt's
Ärger. Nehmen Sie mich als Beispiel. Als ich mit dreizehn in die
Anstalt kam, war ich, glaube ich, kein hoffnungsloser Fall. Aber
nach zwei Jahren mit Gewalt, Hass, Schlägen und Missbrauch hatte
die Gesellschaft ein Problem, als sie mich mit fünfzehn wieder
rausließen. Gefängnisse sind Hassfabriken, trotzdem will unsere
Gesellschaft immer mehr haben. Das funktioniert nicht.“
„ Geben Sie jemand anderem die Schuld an dem, was Nicole
passiert ist?“
Boyette schnaubte und wandte den Kopf ab. Es war eine schwere
Frage, und er sank unter ihrem Gewicht in sich zusammen.
Schließlich sagte er: „Sie haben nicht verstanden, um was es geht.
Was ich getan habe, war falsch, aber ich konnte nichts dagegen
machen. Und warum konnte ich nichts dagegen machen? Weil ich eben
so bin. Aber ich wurde nicht so geboren. Ich habe nicht wegen
meiner DNA so viele Probleme, sondern wegen dem, was die
Gesellschaft verlangte. Sperrt sie ein. Bestraft sie. Und wenn
dabei ein paar Monster entstehen, tja, dann haben wir eben Pech
gehabt.“
„ Was ist mit den anderen fünfzig Prozent?“
„ Wer soll das denn sein?“
„ Die Hälfte aller Straftäter kommen nach ihrer Entlassung nicht
mehr mit dem Gesetz in Konflikt und werden nie wieder
verhaftet.“
Diese Statistik passte Boyette nicht ins Konzept. Unruhig
rutschte er auf dem Sitz hin und her und starrte auf den
Außenspiegel an der Beifahrerseite. Dann zog er sich wieder in sein
Schneckenhaus zurück und hörte auf zu reden. Südlich von Wichita
schlief er ein.
Um 3.40 Uhr klingelte das Mobiltelefon wieder. Es war Matthew
Bums. „Wo bist du?“, wollte er wissen.
„ Schlaf weiter, Matthew. Tut mir leid, dass ich dich
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