Geständnisse eines graumelierten Herren
Heiterkeit in der kompakteren englischen Sprache, die unkomplizierte Denkweise des Inselvolks mit den ausladenden Hinterköpfen, in denen sich Probleme nicht so drängen, wie in den kürzeren alpenländischen. Gestern mit Georgia im Wilhelm-Palais unter inländischen Akademikern ging’s berechnender zu, brillierehrgeizig. Irgendjemand von lokaler Bedeutung feierte irgendetwas derselben Art, und da sie nicht mit Detlef repräsentieren mußte, nahm sie ihn mit, ablenkungswillig wie er war, sogar im kleinen Pinguin. Auch gestern begann es förmlich, aber ungleich aufwendiger und mit der launigen Selbstgefälligkeit alpenländischen Diplomatenschliffs, die wohl daher kam, daß sich alle kannten, zweihundert Menschen ungefähr. In langen Kleidern lauerten lupenrein glitzernde Frauen, mit ausreichend Zeit, über alle Neuerscheinungen Bescheid zu wissen, der Mode wie der Literatur. Teilnahme am Geistesleben vorausgesetzt; die Mietküche auf Selbstfahrlafette, Ausdruck der mobilen Gesellschaft, schlug das Feinschmeckerlokal um Längen.
Britischem Ehrgeiz entspricht das nicht. Der kulinarische Teil ist vollendet schottisch unterorganisiert. So wie es nachher schmeckt, bedauert niemand, daß es dauert, und niemand verliert darüber ein Wort. Die Frauen sind vergnügt, keine Neuerscheinung engt ihre Themen ein.
Gestern im Wilhelm-Palais wurde es nach dem Essen legerer, kaum lauter. Es bildeten sich Gruppen nach Themen, vom Witz über eine brisante Scheidung bis zur Geldlage. Um die Zeit tanzen die Schotten längst, Gruppentänze, den Eightsome Reel, den Linton Ploughman, wo man mitgerissen wird, ob die Füße ihren Part beherrschen oder nicht, mitgerissen von den Frauen, die sich von ihrer Zurückhaltung zu erholen scheinen und das durchaus unaufdringlich.
Mitten im Gruppentanz, der wie im Voralpenland immer wieder mit Juchzern gewürzt wird, gibt einer eine Schuhplattlereinlage im Kilt. Lukas bleibt stehen.
Diese nachkeltischen Bergstämme, die zu den Ländern, zu denen sie gehören müssen, eigentlich nicht gehören wollen, sind sich verwandt!
Das Bild des schuhplattelnden Schotten hat ihn auf eine Idee gebracht. Er wird Colin darüber schreiben. Colin, sein neuer Freund, muß ihm da behilflich sein. Ein Filmproduzent aus Edinburgh ist hier genau der richtige Mann. Stimmung und schöpferische Daseinsfreude erinnern ihn auch an die Pacherhochzeit. Ländliches Fest auf städtische Art. Aber den Alkoholkonsum verglichen, hatten die Bauern und die Städter im Palais nur genippt wie Hepatitiker.
Nichts für Georgia, die heute mit Detlef auf einer Dritte-Welt-Konsulatsparty einen unbekannten Unabhängigkeitstag mitfeiert. Sie sah wunderschön aus gestern. Sie schien in einen Goldrahmen entrückt, aus dem er sich als Putto neigte, rastlos Hände schüttelnd, allen seine Freude bekundete und sich dafür bei ihr beschwerte. „Du reichst mich herum wie eine heiratsfähige Tochter!“
„Wenn sie dich kennen, kommen sie auch zu deiner Vernissage!“ Ihn auf Trab zu halten, hält sie für Arbeit. Ihr Repertoire an Zerstreuung, als Sammlung unter Kunstverständigen kostümiert, ist ohne Grenzen, eine Ausstellung, ein Opernbesuch, ein Jubiläum. Alles in Champagnerlaune, Komplikationen scheinen unbekannt. Bis zu dem Tag, da sie nach Ablieferung seiner inzwischen gerahmten Bilder in der Galerie bei ihm die Vorhänge zuzieht und sich aufs Bett legt. Eine in zärtliches Zierrat verpackte Frage macht ihm klar, daß es ein besonders „zauberhafter Liebesnachmittag“ werden wird: Wie das denn sei mit Renate in nämlicher Situation?
Seine Abneigung, darauf überhaupt zu antworten, versteht sie als aufregendes Sich-Zeit-Lassen und füllt die Pause mit Bündeln von Detailfragen, gleich dem Fernsehreporter, dem die Antwort gar nicht wichtig ist, nach dem Glück, alles was Bildung und Geist vortäuscht, herausgebracht zu haben.
Schließlich pariert er die lästige Verbalvergewaltigung mit Muskelkraft der gröberen Sorte und braucht sich, nach Schultersieg, nicht zu wundern, daß es diesmal für sie schöner war. Wie überhaupt noch nie.
Er bleibt im Liebessattel. Keine Komplikationen mehr. Sie will ihn beeindrucken, will mit ihrem ausgefüllten Leben seines ausfüllen, indem sie ihn wissen läßt, wie sehr es sie nach Betätigung drängt, wozu er ihr geraten hat. Innenarchitektur schwebt ihr vor. Häuser einrichten, nach ihrem Geschmack. Von bekannten Bekannten, versteht sich.
Zärtlich nimmt er sie in die Arme. Dabei fallen ihm zwei
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