Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Ausbildung war er mehr pro forma zuständig. Er verteilte junge Leute im Haus, irgendwohin, wo gerade Platz war.
Ich bekam einen Brief, mit der Aufforderung, mich am 2. Januar 1970 bei eben diesem Kurt Seeberger zu melden. Das tat ich. Punkt neun stand ich vor seinem Büro. Es war verschlossen. Um halb zehn kam eine Sekretärin, die mich verwundert fragte, was ich denn hier wolle. »Der See?«, fragte sie (so nannte man Herrn Dr. Seeberger offenbar im Haus), der See käme immer erst gegen Mittag. Ich bekam einen Kaffee und wartete weiter. Als der See schließlich kam, war auch ihm die Verwunderung anzumerken. Er wurde sichtlich verlegen und bat mich, noch etwas im Vorzimmer zu verweilen. Er müsse telefonieren. Nach einer halben Stunde kam er wieder und verkündete, er habe mich in der Wissenschaftsredaktion untergebracht, bei Frau Dr. Gustava Mösler, dort könne ich am 7. Januar anfangen.
Später hat mir die Möslerin erzählt, wie es damals wirklich vor sich gegangen ist. Seeberger habe sie aufgeregt angerufen und bedrängt: »Doktoressa, Sie müssen mir helfen, mir ist etwas passiert. Ich muss einen Volontär unterbringen. Den hab ich völlig vergessen. Der arme Kerl sitzt auch noch im Rollstuhl. Niemand ist sonst im Haus, Sie müssen ihn nehmen!« Auf Frau Möslers Hinweis, dass sie bereits eine Volontärin habe und in ihrer kleinen Redaktion beim besten Willen kein Platz für einen zweiten sei, beschworSeeberger ihre alte Freundschaft: »Helfen Sie mir! Der kommt direkt vom Wallenreiter. Setzen Sie ihn irgendwo hin und geben ihm was zu lesen. Ich kümmere mich dann schon um ihn.« So begann meine journalistische Karriere. Das hat den See nicht davon abgehalten, später, als ich es zu etwas gebracht hatte, immer freudig auf mich zuzueilen, mir auf die Schulter zu klopfen und auszurufen: »Mein Junge, schon als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich, dass du in die Wissenschaftsredaktion gehörst!«
Man setzte mich in eine kleine Kammer. Sie war in dem alten Riemerschmid-Bau am Rundfunkplatz 1 direkt unterm Dach, offenbar schon länger nicht mehr benutzt. Zwei Bodenplanken waren locker und gaben, wenn man sie anhob, die Sicht auf die darunterliegenden Querbalken frei. Die Glühbirne hing frei von der Decke. Ein alter Tisch war das einzige Mobiliar. Immerhin war geheizt. Das Dumme war, dass man die Kammer nur über eine Treppe erreichen konnte, bloß sechs Stufen zwar, aber das waren für mich sechs zu viel. Da stand ich also jeden Morgen und wartete, ob zufällig ein starker Redakteur vorbeikam, der so nett war, mich die Treppe hinaufzuziehen. Per Anhalter ins Büro. Auf diese Weise lernte ich immerhin ein paar künftige Kollegen kennen. Eine freundliche Sekretärin besuchte mich am ersten Tag dort oben, stellte sich als Mitarbeiterin von Frau Dr. Mösler vor und überreichte mir einen Stapel Manuskripte, die ich doch bitte lektorieren sollte. Sie sahen schon etwas vergilbt aus, und als ich zur jeweils letzten Seite kam, wusste ich, warum: An jedem Manuskript hingen hinten bereits einige Lektorate dran. Offenbar war schon mancher Anfänger mit derselben verantwortungsvollen Aufgabe betraut worden. Ich war etwas pikiert, ließ mir aber nichts anmerken und gab ein weiteres Urteil ab, das ich hinten anheftete.
Zwei Wochen gingen ins Land, ohne dass meine Journalistenlaufbahn erkennbar an Schwung gewann. Dann kam die freundliche Sekretärin wieder und sagte, Frau Dr. Mösler wolle mich sprechen. Ich war ganz aufgeregt. Ich hatte schon einiges über sie gehört. Sie war eine Autorität im Bayerischen Rundfunk. Zum Glück kam gerade jemand vorbei, der mir die Treppe hinunterhalf. Dann stand ich das erste Mal vor der Frau, die einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben werden sollte. Sie war eine Dame, das sah man gleich. Gepflegt, kultiviert, elegant. Nicht mehr ganz jung, aber attraktiv. Mit einer leicht desinteressierten Freundlichkeit fragte sie mich, was ich so tue und was meine beruflichen Pläne seien. Später, hat sie mir einmal gesagt, habe sie sich Vorwürfe gemacht, dass sie sich nicht nach Rollstuhlproblemen erkundigt habe, aber sie sei gar nicht auf die Idee gekommen, ich habe so normal gewirkt. Nach dem Smalltalk kam sie zur Sache: Sie befände sich in einem Dilemma. Einerseits habe sie schon eine Volontärin, andererseits habe sie meine Lektorate gelesen und sich sehr amüsiert. Ich hätte ein gutes Urteil und einen frischen Ton. Sie würde mich gern behalten und als freien Mitarbeiter
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