Gestern, heute - jetzt
beim Anziehen zuschaute. Dann war sie ganz die verwöhnte, neckische Prinzessin.
Heute war keiner dieser Morgen.
Heute hatte Simone dunkle Schatten unter den Augen, und er selbst wand sich unter ihrem Blick.
„Rafael?“, sagte sie. „Darf ich dir eine Frage stellen?“
„Natürlich.“ Er brauchte einen Anzug an diesem Tag. Wundersamerweise fand er mindestens ein Dutzend in seinem Schrank. Sie waren wie von Geisterhand aufgetaucht. Er wählte einen grauen aus.
„Worauf steuern wir hiermit zu?“
„Womit?“
„Mit dieser Beziehung. Deiner und meiner.“
Er ließ die Hand sinken. Zwang sich, zu atmen. „Ich weiß es nicht.“
„Können wir darüber reden?“, tastete sie sich vor. „Wohin wir von hier aus gehen, meine ich?“
„Was gibt es da zu bereden?“, versetzte Rafe, während ihn die Panik packte bei dem Gedanken, zusehen zu müssen, wie Simone ihn ein zweites Mal verließ. Noch nicht. Nicht jetzt. Doch sosehr er sie auch brauchte, sosehr er sich seiner Schwäche bewusst war – er konnte Simone kaum länger hier halten, wenn sie wirklich fort wollte. „Willst du mich verlassen?“
„Nein.“ Im nächsten Moment befand sie sich an seiner Seite, packte seinen Arm und drehte ihn zu sich um. „Rafael, nein! Ich möchte nur wissen, welche Gefühle du mit diesem Ort hier verbindest, mit diesem Lebensstil und auch mit mir. Dazu sagst du nie etwas“, fügte sie leise hinzu. „Du sagst nie, was du willst.“
„Ich möchte das Richtige für dich tun.“ Nichts wünschte er sich mehr. „Und für das Baby. Ich möchte, dass du glücklich bist.“ Er nahm all seinen Mut zusammen und offenbarte seine Seele. „Mit mir.“
Simones Augen füllten sich mit Tränen. Rasch wirbelte sie herum. „Ich hasse sie“, stieß sie heftig aus.
„Wen?“
„Deine Mutter.“
„Ich mag sie auch nicht sonderlich“, murmelte Rafael. Allerdings verstand er nicht ganz, was das mit seiner vorherigen Aussage zu tun hatte. „Na und?“
„Ich kann nur hoffen, dass du mir irgendwann wieder vertrauen wirst. Dass du mir glaubst, dass ich zu dir stehe. Dich nicht verletze. Aber ich habe keine Ahnung, ob das jemals der Fall sein wird, und daran ist nur deine Mutter schuld mit all den Dingen, die sie dir angetan hat.“ Simone schlang die Arme um ihren Körper. „Ich bin auch nicht unschuldig und fühle mich ebenfalls verantwortlich für die Situation, in der wir uns befinden. Aber ich komme nicht ohne dein Vertrauen aus, Rafael. Diese Beziehung wird nicht funktionieren, solange du mir nicht richtig vertraust.“
„Simone …“ Er wusste nicht, was er sagen sollte. „Ich bemühe mich.“
Sie senkte den Kopf. So konnte er ihre Tränen nicht sehen, aber sie waren ihrer Stimme anzuhören. „Ich weiß.“
In den folgenden Tagen bekam Simone nicht viel von Rafael zu sehen. Bei ihm stand Meeting über Meeting auf dem Programm, eines wichtiger als das andere. Nachts war er immer unglaublich müde. Nicht was ihr Liebesspiel anbelangte, aber geistig erschöpft und misstrauisch gegenüber allem und jedem. Inklusive ihr.
Wie lange konnte er noch so weitermachen? Immer distanziert, ohne wirklich jemand an sich heranzulassen?
Simone hatte vorgeschlagen, dass sie Harrison einladen sollten, eine Weile bei ihnen zu verbringen. Sie hatte auch angeregt, Gabrielle und Luc zu einem Besuch zu überreden. Rafael brauchte Menschen um sich herum, denen er vertrauen konnte, und wenn sie nicht dazu zählte, dann musste es eben jemand anders sein. Die Verhandlungen darüber, welche genaue Rolle Rafael in Maracey spielen sollte, neigten sich ihrem Ende zu. Es ging um einiges. Die Macht, über die Rafael verfügte, war bereits enorm groß.
Ob er sie wirklich ausüben wollte , konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen.
Simone war dazu übergegangen, einen Großteil ihrer einsamen Tage in dem alten Weinberg zu verbringen, gemeinsam mit Ruby, dem neugierigen Welpen, einer Schubkarre, einer Heckenschere und Handschuhen. Die Gärten um das Gebäude herum waren tadellos gepflegt, aber hier zwischen den Reben war noch viel Arbeit zu erledigen, hier konnte noch eine Vision verwirklicht werden. Einen Teil dieser Vision, entschied Simone, würde sie zu der ihren machen.
Die Rebenreihen, in denen sie an diesem Tag arbeitete, waren vor über dreißig Jahren aus Caverness gekommen. Sie waren von ihrem Vater geschickt und von Etienne gepflanzt worden. Simone zog eine Grimasse, als sie sich aufrichtete und die Reihe entlangblickte. Nicht dass er
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