Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
Drachen steigen und rauchen nicht eine einzige Zigarette in Friesland. Wir müssen Labskaus essen!«
»Bah!«, machte ich. »Nein, das müssen wir nicht!«
Marta lachte.
»Oh doch, und Fischbrötchen jeden Morgen. Wir werden gesund leben. Nackt baden. Und Krabben pulen!«
Marta notierte auf kleinen Zetteln: Hochseeangeln, Robbenjagd, Eisfischen, Schlittschuhlaufen.
»Klar«, sagte ich.
»Was noch?«, fragte sie. »Erzähl mir mehr von deinen Eltern.«
Ich überlegte und starrte auf meine Füße. Dann lehnte ich mich vor und nahm aus einem Blumentopf eine Handvoll Erde, die ich Marta unter ihre Nase hielt. »Riech mal«, sagte ich und sie roch und sah mich fragend an. »Wie riecht das?« Marta zuckte die Schultern.
»Wie Erde«, sagte sie und ich roch an der Erde und schüttelte den Kopf.
»Scheiße riecht das«, sagte ich. «Nicht wie richtige Erde. Friesische Erde, das ist Erde. Die kann man essen«, sagte ich und Marta sah mich mit großen Augen an. »Wirklich«, sagte ich, »diese schwarze, leichte Erde, locker, tieftiefschwarz – die kann man essen. Nicht zu viel, ein, zwei Hände am Tag. Reinigt den Körper, schmeckt wie ...« Ich sah Marta an, die vor mir stand wie eine Vierjährige im Streichelzoo, ich konnte ihr alles erzählen, »... wie Kartoffeln, nein, wie Möhren oder wie beides zusammen, frisch gekocht, mit ein bisschen Salz und Sauermilch.«
Marta verzog keine Miene, notierte: Erde essen . Sie glaubte alles, wenn ich nur Friesland dazu sagte. »Kennst du Moor?«, fragte ich sie und sie schüttelte den Kopf.
»Moor«, sagte ich, »Moor, Marta! Unser Hof steht im Sietland, keinen Kilometer hinter dem Hof fängt das Moor an. Weißt du nicht, wie sich das anfühlt, Marta? Moor ist so ein merkwürdiger Boden, eigentlich kein Boden, kein echter. Wasser und Pflanzen, Bäume, Birken, Sträucher, kein echter Grund, verstehst du? Kein Stein und kein Sandkorn.«
»Nein!«, sagte Marta, laut und inbrünstig. Es sollte heißen: Erzähl mehr.
»Vielleicht weil das Mineralische fehlt. Die Struktur, das, was Strahlung reflektiert. Im Moor gibt es Seen, unberührte, stille Seen, mit Schwimmrasen, also Rasen, der auf Schlamm wächst, eine dünne, grüne Decke, die nicht trägt. Moor ist gefährlich, Marta. Als Kind hatte ich immer Angst. Früher haben sie da die Toten versenkt, Verbrecher und Mörder, kann man heute noch im Museum sehen, Moorleichen, bestens konserviert. Aber heute mag ich das Moor, schon diesen Duft, das kann man richtig vermissen, es riecht da so – süßlich!«
»Das muss ich sehen!«, sagte Marta und ich nickte. Marta notierte: Moor, Schwimmrasen, süßer Duft . »Das hätte ich nicht gedacht!«, sagte sie.
»Du hast auch keine Ahnung, Marta.«
Partytag. Marta telefonierte den ganzen Morgen, tapste durch die Wohnung, drückte sich ihr Telefon ans Ohr und lachte. Sie bestellte Unmengen von Getränken und Essen. Sie orderte einen DJ, lud Bekannte und deren Bekannte ein und sagte allen, sie sollten mitbringen, wen sie mitbringen wollten. Schließlich setzte sie sich mir gegenüber, vollkommen erschöpft, und rauchte. Zwischen den Zügen erklärte sie mir, ich müsse etwas für sie erledigen. Sie gab mir einen Umschlag mit Geld darin, ich habe es nicht gezählt, aber es war mit Sicherheit mehr, als ich jemals in der Hand gehalten hatte. Ich sollte zu ihrem Dealer fahren und einkaufen, was für diese Party benötigt wurde. »Alles schon geregelt, du fährst einfach hin und holst den Kram ab.« Ich nickte und machte mich auf den Weg.
Marta hatte alles geplant, unten wartete ein Taxi auf mich, das sofort losfuhr. Ich glotzte nur aus dem Fenster, irgendwann hielt das Taxi an und ein Polohemd-Typ stieg ein und drückte mir eine Tupperbox in die Hand. Ich gab ihm den Umschlag. Auf dem Rückweg versuchte ich, nicht nachzudenken. Ich spielte ein Spiel aus meiner Kindheit, stellte mir einen Gefährten vor, ein schwereloses zweites Ich, das neben dem Auto herläuft und über alle Hindernisse hinwegspringen muss. Eine Baustelle, eine Telefonzelle, Werbetafeln, ein paar Autos. Es klappte, wenigstens für einen Moment.
Ich hätte alles vernichten sollen, wegschmeißen, in einem Gully versenken. Es würde Marta das letzte bisschen Kraft rauben, sie würde eine solche Party nicht überstehen. Aber ich wusste, ich würde es nicht tun. Marta hatte sich entschieden.
Ich habe einfach nichts aus ihr herausbekommen. Wann und warum sie hierhergekommen ist und wo sie vorher war, ob sie studiert hat,
Weitere Kostenlose Bücher