Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
an meine Arbeit denken. Ich wollte nichts mehr an mir zerren lassen, nur Marta. Keine Pflichten, nur Marta. Ich wischte alle Böden, ich putzte sogar die Fenster. Ich hörte Musik und lief hin und her, wie dumm. Ich konnte nicht vor die Tür gehen, ich schaffte es nicht, mir die Schuhe anzuziehen, eine Jacke, und wenigstens einen Kaffee trinken zu gehen. Ich versuchte, in ihrem Bett zu schlafen, wälzte mich aber nur hin und her. Ich öffnete ein Fenster und hielt den Kopf raus. Ausblick halten, Nase lüften. Marta war nicht in Sicht. Es wurde dunkel.
Ich weiß nicht, wie oft ich an diesem Abend zur Tür gehen musste. Marta war nicht da und Liviu, der sich normalerweise um die Leute kümmerte, die jeden Abend aufkreuzten, kam ganz selbstverständlich auch nicht runter. Immer und immer wieder zog ich genervt die Tür auf und sagte in die fröhlichen Gesichter, die verschwommenen Augen der zugedröhnten, aufgebrezelten Gestalten, dass Marta nicht da war, dass heute geschlossen war, und schmiss die Tür wieder ins Schloss. Ohne Marta hing mir diese Welt schon nach einem halben Tag dermaßen zum Hals raus.
Dann hörte ich, wie jemand viel zu lange im Schloss der Wohnungstür herumstocherte. Die Tür ging auf und es war Marta, plötzlich war sie wieder da, es war Nacht inzwischen. Sie schleppte sich an mir vorbei in ihr Zimmer, sagte kein Wort, fiel ins Bett. Sie lag und ihr Atem pfiff, ein winziges Fiepen aus ihrer blauen Brust, wie die Ultraschallsprache ihrer Ratte, vielleicht redeten die beiden miteinander.
»Wo warst du?«, fragte ich, aber Marta antwortete nicht. »Ich hab gewartet, die ganze Zeit. Hab mir Sorgen gemacht. Marta!« Aber sie reagierte nicht, sie tat gar nichts. Ich setzte mich zu ihr, sah sie an. Ein Wunder, dass sie überhaupt hier angekommen war, sie war betrunken oder high, auf jeden Fall zu Tode erschöpft. Alles, was ich ihr wütend an den Kopf werfen wollte, war verschwunden. Ich wollte nur noch ihren Kopf auf meinen Schoß nehmen, sie streicheln, ihr Tee kochen. Marta stöhnte nur leise, verdrehte die Augen, wand mühsam den Kopf, und dann kotzte sie auf meinen Schoß. Einen kleinen, beißend riechenden Schwall, der flüssig aus ihrem Mund lief, den Rest hustete sie mühsam aus sich heraus. Sie sagte »Auau« und ich wollte ihr helfen, aber da war nichts zu tun, nichts, was hätte helfen könnte. Nur warten. Husten, Pfeifen, Auau, das waren Martas Geräusche für vielleicht eine Stunde, ich saß nur da und war verzweifelt. [Ich hätte einen Arzt rufen müssen, Marta, ich verstehe nicht, wieso ich auf dich gehört habe, das wäre meine Pflicht gewesen.] Ich deckte sie zu, ich kühlte ihre Stirn, ich streichelte sie, hielt ihren Kopf und ich war nicht einmal sicher, ob sie mich nicht hätte wegstoßen wollen, wenn sie die Kraft dazu gehabt hätte. »Das wäre nicht passiert«, sagte ich, »wenn du mich mitgenommen hättest, das weißt du. Dafür bin ich doch bei dir.«
Marta spuckte geräuschlos Blut auf ihr Bett.
[Es macht mich rasend, dass ich es nicht herausgefunden habe, Marta: Wie du aussiehst, wenn du weinst. Ich weiß nichts von dir, hast du nie geweint, Marta?]
Ein paar Tage später, vor dem Fenster ein dunkelblauer Himmel, drinnen langsame Bewegungen, Zigarettenrauch und Marta mit sanftem Blick. Ein selten ruhiger Abend mit ihr. Draußen, ich meine im Rest von Martas Wohnung, trudelten langsam die Leute ein, Liviu machte die Tür, wir kümmerten uns um nichts. Die Wohnung begann sich mit Leben zu füllen, Marta und ich aber saßen in ihrem Zimmer wie auf einer Insel. Sie hatte abgeschlossen, Musik aufgelegt, Kerzen angezündet. Wir hockten auf Kissen in der Mitte des Raums, Marta hatte Landkarten ausgebreitet. »Wir müssen einen Wagen mieten!«, sagte sie und klickerte aufgeregt mit einem Kugelschreiber in der Luft herum. Leberecht huschte über die Karte, Marta malte eine Strecke auf das Papier. Sie wollte von Emden an der Küste entlang und auf jede Insel mit zwei O, bis nach Cuxhaven, von dort mit der Fähre rüber nach Nordfriesland, Strände suchen. »Wir müssen weiße Strände finden, weißen Sand, da liegen wir in der Sonne und lassen uns braten«, sagte Marta und ich nickte. »Wir fahren da runter und dann tingeln wir von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof. Was meinst du, Paul, vielleicht können wir auf den Höfen arbeiten? Arbeiten und schlafen und essen. So richtig mit Heu und Kühen und Mist und Schweinen und Schwalben?« Ich nickte. Marta und Arbeit. »Wir lassen
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