Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
plötzlich von hinten in den Nacken und schrie in mein Ohr: »Ich will, dass du mich fickst, Paul. Dass du mich richtig versaut durchfickst.«
»Aha.«
»Jetzt.«
»Jetzt?«
»Hier, auf dem Klo. Fleisch, Paul, nur Fleisch, weißt du.«
»Marta.«
»Los, komm.«
Sie nahm meine Hand und zog mich durch die zuckenden Menschen, durch das Stroboskoplicht in den nach Zitronenreiniger stinkenden, kaltweiß gekachelten Neonraum, sie drückte mich in eine der Toilettenkabinen und stürzte sich auf mich, legte den Arm um mich und leckte meinen Hals, hatte die Hand schon in meiner Hose, biss in mein Ohr. Aber dann, plötzlich, hielt sie inne und sah mich an. Ich hatte ihren Atem auf den Lippen, ich hielt ihre kleinen Handgelenke sehr fest. Und dann küsste ich sie einfach. Das war alles, wir standen, fünf Minuten vielleicht, und küssten uns, küssten nur. Nicht versaut, nicht wild, sondern so, als wären wir verliebt, wie damals zum ersten Mal im Café, nur sicherer. [Vielleicht war das überhaupt der schönste aller Küsse mit dir, Marta, ausgerechnet hier, die Kacheln, das helle Licht, die hochgeklappte Klobrille, der Zitronenreiniger, die schlagenden Türen, die Stimmen, dieser schlimme Abend und deine rauen Lippen. Es war schön, Marta, wirklich schön.]
Ich konnte sie überzeugen zu gehen, ein seltener Sieg. Aber Marta war schwach inzwischen, sie konnte gar nicht mehr feiern. Wir waren nur kurz in ihrem Club gewesen, aber ihre Stimme war schon dünn, Marta lehnte gegen die Wand und lächelte müde.
»Das war gar nicht richtig«, sagte sie, als wir unsere Jacken holten. Wir stapften durch die dunkle Straße, ich hatte Marta im Arm, eine traurige Marta. »Weißt du, was am Feiern geil ist?«, fragte sie. »Verloren gehen! Es ist drei Uhr in der Nacht und plötzlich ist es acht Uhr morgens, es ist hell, du tanzt, dann ist Nachmittag, es wird wieder dunkel, dann wird es hell und wieder dunkel und das ist alles gar nicht mehr wichtig. Es geht nur darum, ob es dir gut geht oder nicht. Und alles geht immer so schnell, ich frag mich jedes Mal: Was? Schon wieder vorbei? Hat doch gerade erst angefangen.«
3. Marta verschwindet
givst me dre
wünsch ich Glück
dat de Köksch n Brütigam kriegt
Als ich aufwachte, war Marta weg. Ich stand auf, lief durch ihre riesige Wohnung, durch jedes der verlassenen Zimmer, aber sie war nicht da. Vielleicht wollte sie mich überraschen, vielleicht war sie bei Liviu. Ich machte Kaffee und ging mit zwei Bechern hoch auf den Dachboden. Ich klopfte. Liviu lag im Bett und las. Ich hielt ihm den Becher hin, er grinste und trank.
»Marta gesehen?«, fragte ich.
»Heute nicht, nee«, sagte er und ich wollte direkt wieder runtergehen. Liviu fragte: »Ist sie weg?«
Ich nickte und versuchte seinen Gesichtsausdruck zu lesen.
»Wie lange wohnst du eigentlich schon hier?«
Liviu zuckte die Schultern. »Halbes Jahr? Hab Marta ungefähr vor nem halben Jahr kennengelernt.« Er nahm sich Tabak und drehte sich eine.
»Warum wohnst du hier?«, fragte ich.
»Hab keine Aufenthaltsgenehmigung mehr, müsste zurück.«
Ich nickte. Er machte seine Zigarette an.
»Überlege, was ich dann mache. Was machst du, Paul?«
»Wann: Dann?«
»Na ... dann.«
»Du wartest nur, oder was?«
Liviu zuckte die Schultern, zog tief ein und atmete langsam aus. Sein Kopf fiel ein bisschen hin und her, dann trank er einen Schluck Kaffee.
»Was machst du, Paul?«
»Bin Student.«
»Hier, meine ich. Wartest du nicht?«
Wahrscheinlich hatte er recht. Ich wartete. Aber ich schüttelte den Kopf, vorsichtig, dann bestimmt. »Nein. Ich bin mit ihr zusammen.«
»Okay«, sagte Liviu und nickte, »das ist besser als Warten. Auf jeden Fall. Warten ist beschissen.«
Er hielt mir die Zigarette hin, ich schüttelte den Kopf.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte er, »kommt wieder, kommt immer wieder. Manchmal ist sie weg, dann ist sie wieder da.«
Es machte mich verrückt. Ich hatte nichts zu tun. Ich putzte ihre Küche. Marta war einfach weg, ließ mich sitzen und warten, dabei hatte ich alles stehen und liegen gelassen für sie.
Ich hätte nach Hause fahren können, die Post sortieren, lesen, die Blumen gießen, den Abwasch machen, mich wieder in mein eigentliches Leben sortieren. Aber ich hätte mich gar nicht getraut, meine Wohnung zu betreten, zurückzugehen. Ich wollte nicht den Anrufbeantworter abhören, die Zeitungen zum Altpapier bringen, ich wollte nicht wissen, wer was von mir wollte. Ich wollte nicht
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