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Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mairisch
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nicht, mal die Klappe zu halten. Ich reagiere nicht. Ich hoffe für Westdeutschland, dass Wessi wirklich nur ein zufälliger Spitzname ist.
    Wir fahren los, Bella poltert im Kofferraum herum, als der Wessi in ein Schlagloch fährt. Selbst wenn ich ihn beschimpfe, wird er es nur wieder als Aufforderung verstehen, mir seine Geschichten zu erzählen, sein Wissen, seine Weisheiten über alles, über Hundezucht, Frauen, Politik und Sport und das Fernsehprogramm. Ich gucke aus dem Fenster.
    »Zwölftausend«, sagt er. Der will mich doch verarschen.
    »Zwölftausend?«, sage ich und der Wessi nickt.
    »Eigentlich fünfzehn, aber weil er drei auf einmal genommen hat. Rabatt.«
    »Zwölftausend Euro für drei hässliche Hunde?«
    »Das sind Gladiatoren!«, sagt er. »Ich mache Maschinen aus ihnen, Killer. Die sind jeder fünftausend wert, die machen genug Fights, die bringen das Doppelte wieder rein.«
    Ich reagiere nicht. Wir steigen aus, holen Bella aus dem Kofferraum. Der Wessi guckt mich an, es wurmt ihn, dass ich nicht hin und weg bin.
    »Es gibt ein Geheimnis.«
    »Wessi, jetzt nimm die Eier von der Heizung!«
    »Willst du mein Geheimnis wissen?«
    »Jetzt komm mir nicht mit deinem scheiß Billigenergydrink.«
    Der Wessi lacht und kniet sich neben seinen pockigen Hund.
    »Bella«, sagt er wie ein verliebter Kindergärtner, »sie ist der beste Trainer. Guck mal: Hab ihr die Zähne rausgenommen, weil sie jeden plattgemacht hat. Alter Rambo, ausgedient. Jetzt is sie ne Lehrerin.«
    Und dann zieht der Wessi zum Beweis die Lefzen von Bella hoch. So was hab ich noch nie gesehen, so was will ich nie wieder sehen. Abgesägte Zähne. Bellas gesundes Hundegebiss, das keinen Zentimeter über ihrem rosa Hundezahnfleisch einfach endet. Weiße Stummel mit schwarzem Kern. Ich kann sofort den Schmerz fühlen. Ich denke an Zahnarzt, Wurzelbehandlung, Zange und Bohrer und nehme das alles mal tausend. Er hat ihr die Zähne rausgeflext, so wahnsinnig kann nur ein Wessi sein. Ich habe nie etwas Perverseres gesehen, auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Zähne abzuflexen, ich frage mich, wie er das gemacht hat, aber dann wird mir schlecht.
    »Damit sie ihre Schüler nicht totmacht, verstehste? Nach drei, vier Kämpfen sind sie fit.«
     
    Ich stapfe zwei Schritte vor dem Wessi durch den finsteren Wald zurück zur Bahn, zurück zum Containerplatz. Ich bin geschockt, der Wessi merkt das, er rennt hinter mir her und versucht, mir ins Gesicht zu gucken. Aber es ist dunkel und ich drehe mich weg. Die Hunde in den Verschlägen haben sich noch immer nicht beruhigt, man hört noch ihr Bellen, obwohl wir schon tief im Wald sind. Keine Menschenseele hier, da können sich die Hunde auf den Kopf stellen. Ich finde, dass Menschen, die Verbrechen begehen, krank und unglücklich werden müssten. Aber der Wessi grinst und will mir ständig ins Gesicht gucken, weil er sich an meinem Schock weiden will. Er lacht überhaupt viel, der Wessi, ist gut genährt und hat immer Hunger. Er flext Hunden die Zähne aus dem Maul, aber es geht ihm blendend. Ich bleibe stehen und frage: »Wie viele Hunde verkaufst du im Jahr?«
    »Zehn, zwanzig!«
    »Viel Geld!«, sage ich und der Wessi nickt stolz. »Und mir gibst du hundertfünfzig?«
    »Für den Anfang! Außerdem hast du gar nichts gemacht heute!«
    »Dein Gelaber hab ich mir angehört!«, sage ich und der Wessi, auf seine joviale Wessi-Art, sagt »Ach« und klopft mir wieder auf der Schulter rum.
     
    Ich liege auf dem Bett und kann nicht schlafen. Ich starre auf das Rollo. Das habe ich einmal angebracht vor zwei Jahren und noch nie habe ich es hochgezogen, es ist immer unten, ich will nicht so viel von da draußen hier drinnen haben. Ich ziehe es hoch und gucke in die Dunkelheit.
    Um uns herum Landschaft, die man Nichts nennen möchte. Vor allem: Wind. Flaches Land, Rasen, ein paar Krüppeleichen, schief und krank. Kies auf dem Platz, wo das Lager ist, die Wege schlampig asphaltiert. Vier Kilometer weiter gibt es eine Tankstelle, eine Raststätte mit Hotel, dahinter Kaufland . Hier direkt gibt es wirklich nichts außer uns. Und natürlich diesen zwei mal acht Meter breiten Streifen Geschwindigkeit. Ich trinke einen halben Tetrapack Wein. Dann kommt der Schlaf.
     
    Das Leben im Container beginnt kurz vor sechs. Klingelt der Wecker, pladdert der Regen aufs Dach, dieseln die Maschinen hoch. Das Flackern des Neonlichts. Kekse, Kaffee, Klamotten. Dann stehe ich im Morgen und rauche.
    Plötzlich stellt sich der Wessi

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