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Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mairisch
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zu mir und steckt sich eine Zigarette in den Mund. Ich gebe ihm Feuer. Ein schreiend bunter Bademantel, Badelatschen in der Kälte, der Wessi sieht aus wie eine Comicfigur. Wenn es kein Versehen ist, dann ist es eine geniale Tarnung. Er zieht ein Bündel Geldscheine aus der Bademanteltasche und zupft daran herum.
    Ich sage: »Na prima, das hat uns die Wiedervereinigung gebracht, wir machen wieder Geschäfte mit den Nazis.« Und der Wessi lacht und klopft mir auf die Schulter wie ein Kumpel und gibt mir drei Scheine.
    »Drei Braune für Brauner.« Er will, dass es jeder sieht, dass wir Kumpels sind, dass wir Geschäfte machen. Aber so läuft das nicht.
    »Wessi!«, sage ich und steck die Scheine ein. »Ich steige aus. Es ist so: Ich mach da nicht mit. Das ist nicht richtig, weißt du, für so was kommt man in die Hölle, da will ich nichts mit zu tun haben.«
    Das war bisschen dick aufgetragen, bisschen viel Entrüstung, aber das finde ich wirklich: Man kann einem Hund nicht die Zähne wegflexen, das ist krank. Und überhaupt. Hunde für Hundekämpfe züchten, das machen nur Perverse.
    Der Wessi nickt. »Und füttern im Januar?«, fragt er und ich schüttele den Kopf und sage: »Fang gar nicht erst damit an. Ende Gelände! Dass ihr Wessis immer verhandeln müsst! Keine Diskussion, Wessi, ich lass mir keine Frikadelle ans Ohr labern, such dir nen anderen, gefälligst.«
    Der Wessi klopft mir noch mal auf die Schulter, obwohl wir ja nun wirklich keine Kumpels sind, nicht mal Kollegen in seinem perversen geschäftlichen Sinne, sondern nur als Straßenarbeiter und da ist man sowieso Eremit. Und dann wirft er seine Kippe in eine Pfütze und geht in den Waschcontainer.
     
    Jeden Tag donnern vierzigtausend Fahrzeuge an mir vorbei. Davon ein Viertel LKW, von denen zittert der Boden. Den ganzen Tag allein auf der Kehrmaschine, blinkende Pfeile, gelbe Streifen, Baustellenschilder. Den Rand der Autobahn fegen, jeden Tag. Fugen in den Beton schneiden und ausbürsten, damit die Bahn nicht reißt, wenn Frost ist. Das Kreischen des Trennscheibenschneiders, der Staub, das Klingeln in den Ohren, das hör ich noch in der Nacht, wie Sirenen. Vom Herbst bis in den Winter hinein haben wir dieses Jahr knapp fünfzig Kilometer Fugen in den Beton gesägt, das ist meine Arbeit. Fünfzig Kilometer, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Im Sommer der Staub, die Abgase, die Sonne, die auf dem Schädel brennt. Im Herbst die Nässe, im Winter die Kälte, die die Haut zerfrisst. Noch dreizehn Tage bis Weihnachten. Noch vierundzwanzig Jahre bis zur Rente. Ich mach bestimmt nicht jeden Scheiß mit.

Wenn man gesungen sagt
    Manchmal hab ich Angst, dass ich auch dumm werde. Jetzt zum Beispiel. Dumm werden kann so schnell gehen, kann aus einem selbst kommen oder weil man vom Fahrrad fällt und sich den Kopf zerschlägt.
    Ich hab mich ans Fenster gestellt, schon vor einer Ewigkeit, auf die Straße geguckt und die Zeit vergessen. Es sind Blätter vom Baum gefallen, dunkle, faulige Blätter. Sie sind im Nieselregen müde auf die Straße geklatscht, andere hat der Wind noch ein, zwei Mal hochgewirbelt, und sie torkelten noch ein bisschen über das Kopfsteinpflaster. Sonst nichts. Meine Knie in den Rippen der warmen Heizung. Erst als Willems Wagen in das leere Bild fährt, wache ich auf und bekomme eben diese Angst, auch zu verblöden.
    Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon am Fenster stehe, ich sehe mich um und auf die Uhr, es ist halb zwölf. Über eine Stunde habe ich hier gestanden und gestarrt, ohne wirklich zu denken, da kann man schon misstrauisch werden. Und plötzlich ist das Leben wieder da, kommt das Denken zurück in den Kopf. Willem fährt an unserem Haus vorbei und parkt den Wagen in sicherem Abstand. Der Motor läuft noch eine Weile. Es dauert. Der Motor geht aus, die Fahrertür geht auf. Willem ist nicht kleiner geworden, aber es kommt mir so vor, entweder weil ich hier oben stehe und auf ihn runtersehe oder weil er dicker geworden ist oder ich größer. Willem beugt sich noch einmal hinunter zum Fenster seines Wagens, klopft gegen die Scheibe und winkt. Ich kann einen Zipfel langen, blonden Haares durch die Scheibe sehen, das erste Mal, dass ich etwas von der Frau meines großen Bruders sehe, ein Stück Astrid. Sie bleibt mit dem Kleinen im Wagen sitzen, Willem läuft los und kommt auf unser Haus zu. Vor dem Vorgartentürchen bleibt er stehen, dreht dem Haus den Rücken zu und sieht sich um. Er greift sich in die

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