Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
lebenslustiger Junggeselle eben aussah. Mit nassen Haaren, nur ein Badetuch um die Hüfte geschlungen, verleibte er sich gerade Ei und Brezel ein.
Unter dem Tisch lag Hovawart Onis, den riesigen Hundeschädel zwischen den Pfoten. Sein Schwanz zuckte in unregelmäßigen Abständen, vorfreudig, denn das Ritual war jeden Morgen dasselbe: Nach dem Frühstück des Alpha-Rüden gingen Herr und Hund in den Stadtpark. Dort würde Onis Enten jagen, im Akkord Parkbäume markieren, mit anderen Hunden auf seiner Morgenrunde herumtollen und wilde Abenteuer erleben. Das Leben war schön!
»Ich sehe gut aus«, erklärte Seifferheld.
»O bitte, nackt am Frühstückstisch, gerade mal die Scham mit etwas Frottee bedeckt. Das hätte es früher nicht gegeben. Sitten wie in Sodom und Gomorrha.«
Irmgard, die nach einem altjüngferlichen Leben erst mit sechzig Jahren in den Hafen der Ehe eingelaufen war, hatte es in ihrer Beziehung mit Pfarrer Helmerich Hölderlein auch nicht leicht. Hin und wieder kehrte sie daher in ihr altes Zimmer im Seifferheld-Haus zurück, um nicht in Versuchung zu geraten, ihren Mann im Schlaf mit dem Kopfkissen zu ersticken.
So wie gestern Abend, als ihr Göttergatte kundgetan hatte, er wolle in die anstehenden Sonntagsgottesdienste ein Trommelsolo integrieren. Während seiner allzu kurzen Missionarszeit in Afrika – seiner Reizverdauung bekam die Abwesenheit aus der Heimat nicht – hatte er das Trommeln für sich entdeckt und konnte davon nicht mehr lassen. Es war wie eine Sucht. Irmgard hätte sich sehr gewünscht, dass ihr Mann in die Fänge einer anderen Sucht geraten wäre, eine, die für das Trommelfell nicht ganz so quälend war: Drogen, Alkohol, Handarbeiten. Aber ausgerechnet das Trommeln! Sie sollte ihren Hölderlein dringend zu einer Therapie schicken. Doch das ging natürlich in einer Kleinstadt nicht. Die Leute würden sich das Maul über den Pfarrer zerreißen, der einen Psychotherapeuten brauchte, weil Gott allein ihm offenbar nicht helfen konnte.
»Du wirst ein richtiger alter Zausel«, beschwerte sich Irmgard, die ihre Restwut an jemandem auslassen musste. Wer eignete sich dafür besser als ihr jüngerer Bruder?
Aber der Vorwurf prallte an Seifferheld ab. Er fühlte sich jung, obwohl vorne mittlerweile eine Sechs stand.
Von wegen Midlife-Crisis. Nichts als ein Mythos. Ach was, eine Lüge. Das Leben wurde für Männer mit jedem Jahr besser. Da gab es keine Krise. Er befand sich in der Mitte des Lebens und lief gerade erst zur Hochform auf. Ja, er war eine wunderbare Mischung aus Jugend und Erfahrung. Man musste nur an das Thema Sex denken. Er wusste mittlerweile, wo die Klitoris zu finden war, ohne Google Earth zu Hilfe nehmen zu müssen. In seinen Zwanzigern war das noch ganz anders gewesen. Und damals hatte es Google Earth noch nicht gegeben, nur umständliche Kartenwerke, die man, waren sie erst einmal ausgeklappt, nie wieder so gefaltet bekam wie vorher.
Na schön, dann flirtete er in letzter Zeit eben vermehrt mit Menschen weiblichen Geschlechts, und? Das war keine Midlife-Crisis. Das war eine bewusste Entscheidung seinerseits für mehr Lebensfreude und Abenteuerlust. Moralisch völlig einwandfrei. Er hinterging seine Freundin schließlich nicht, wenn er sich andernorts Appetit holte, aber daheim aß! Zum ersten Mal in seinem Leben tat er immer genau das, wonach ihm der Sinn stand, und ließ sich von niemandem reinreden. Ein gutes Gefühl!
Ja, na schön, dann trug er eben seit einiger Zeit eine Hosengröße mehr – egal. Und die Nasenhaare sprossen jetzt zugegebenermaßen üppiger als die Kopfhaare – auch egal.
Die Midlife-Crisis war erfunden worden, um Männern, die noch mal durchstarten wollten, ein schlechtes Gewissen einzureden. Das Beste kam erst noch, davon war Seifferheld überzeugt. Sein Leben war, trotz Vorruhestand und Kugel in der Hüfte, jetzt definitiv besser als vor dreißig Jahren. Er löste immer noch Verbrechen, nur ohne den vermaledeiten Papierkram. Er liebte eine Frau und wurde von ihr zurückgeliebt, ganz ohne eheliche Verpflichtungen. Er lebte sein Hobby – das Sticken – ganz ohne Angst vor unfreiwilligem Outing, weil er sich nämlich selbst geoutet hatte. Und die Nachteile des Alterns – dass ein Kater jetzt Tage andauerte, nicht nur Stunden, oder dass seine Blase so oft auf Entleerung pochte wie die Blase einer Schwangeren, von den Prostatauntersuchungen ganz zu schweigen – verkörperten seiner Meinung nach einfach den schrägen Humor von Mutter
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