Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
heulte und heulte. Immer lauter wurde sein Heulen. Für seine bernsteinbraunen Ohren war es eine melodiöse Elegie, ein Klagelied der Extraklasse. Er war der Caruso der Hundewelt. Ganz nah am hohen C.
Die menschlichen Nachbarn in der Unteren Herrngasse zu Schwäbisch Hall reagierten, nun ja, etwas differenzierter.
Fenster wurden trotz der Gefahr invasorischer Stechmücken aufgerissen, Rufe wurden laut. »Kann denn niemand diesen blöden Köter zum Schweigen bringen?«, riefen die Anwohner erbost.
»Großer Gott, da wird doch ein Tier gequält! Da muss man etwas tun! So hilf doch jemand!«, ereiferten sich vorbeiflanierende, tierschutzzugeneigte Touristen.
Onis bekam von alldem nichts mit. Er hatte sich in Fahrt gesungen, war ganz eins mit der Musik. Je lauter er seinen Schmerz in die Welt hinausposaunte, desto leichter wurde ihm ums Herz. Und er spürte, nein – er wusste! –, dass der Himmel ihn hörte und erhörte. Gleich würden sich von jenseits der Tür Schritte nähern. Die vermaledeite Tür würde sich öffnen, und sein Alpha-Rüde würde vor ihm stehen. Mit einem Wurstzipfel in der Hand!
Onis sonderte noch einen Sabberfaden ab.
Dann pumpte er mit noch nie da gewesener Energie seinen Brustkorb auf und jaulte sich vorfreudig schwanzwedelnd in den dreistelligen Dezibelbereich.
Ich nehme keine Drogen. Ich bin eine Droge! (Salvador Dalí)
Ihre Stimme war süchtig machend! Überwältigend. Anrührend.
Kaum war der letzte Ton verklungen, sprangen die Honoratioren der Stadt von ihren schwarzen Plastikstühlen hoch, auf denen größtenteils blaue Styroporkissen mit dem Freilichtspiellogo lagen, weil Plastik und Honoratiorenhinterteile keinen direkten Kontakt vertragen, und applaudierten sich die Hände wund.
Es war die Premiere von Der Mord an Suzy Pommier, die im Rahmen der Freilichtspiele Schwäbisch Hall auf der Großen Treppe zu St. Michael stattfand. Petrus hatte ein Einsehen gehabt: An diesem zweiten Samstag im Juni war es trocken und relativ mild geblieben, und so hatte die weibliche Hälfte der Crème de la Crème der Kleinstadt sich nicht durch zwei Stunden Singspiel hindurchzittern müssen. Bei der Eröffnungspremiere, zwei Drittel des Publikums waren geladene Gäste, darunter zahlreiche Prominente aus Politik und Kultur sowie Pressevertreter, gehörte es sich nicht, die für Freilicht- und Freilufttheater passende Kleidung zu tragen, also Thermounterwäsche, Funktionsallwetterjacke, dazu Socken und geschlossene Schuhe. Die Damen kamen in Designerkleid mit Stöckelschuhen und Perlenkette. In neun von zehn Fällen führte das zu Frostbeulen, und man applaudierte am Ende oft auch deswegen so heftig, weil man sich dringend wieder warm klatschen musste. Aber an diesem Abend war die Begeisterung echt und uneingeschränkt und kam nicht nur von den Herren, denen optisch einiges geboten worden war, sondern auch von den Damen.
Vor und hinter der Treppenbühne hatten alle wie immer ihr Bestes gegeben. Man zählte nicht umsonst zu den besten Freilichttheatern im deutschsprachigen Raum. Aber eine stach besonders heraus: Salina Tressler.
Sie war zweifelsohne ein Jahrhunderttalent. Mit dem Aussehen einer personifizierten griechischen Göttin der Liebe. Nur noch schöner und strahlender.
Sie kam, wie so viele der Schauspieler der Freilichtspiele, aus dem Osten. Böse Zungen behaupteten, dass man sie dort eben billiger bekam. Salina hatte zuvor erst eine einzige Hauptrolle gespielt, und das auch noch in einem Kinderstück an einer völlig unwichtigen Bühne in Off-off-Berlin, aber vor ihr lag eine Megakarriere, darin waren sich an diesem Abend alle einig: das Publikum, der Regisseur, der Intendant und sogar die Kollegen und Kolleginnen.
Die Stimme der Tressler hatte etwas Magisches. Klar und doch mit Timbre, berührend und gleichzeitig provokativ. Außerdem strahlte die junge Frau eine Erotik aus, die wie ein Aphrodisiakum wirkte. Sie verströmte schon Pheromone, wenn sie einfach nur so dastand, und viel mehr noch, wenn sie »agierte«. Fast grenzte es an ein Wunder, dass sich nicht alle in den Armen lagen und sich abküssten. Das heißt, die Schauspieler taten es nach dem fünften »Vorhang« schon. Mehrheitlich küssten sie Salina Tressler. Manch einer von den über zweitausend Premierengästen war neidisch, als er das sah. Aber man hoffte diesbezüglich auf die Premierenfeier im Rathaus …
Siegfried Seifferheld, Ex-Kommissar im unruhigen Vorruhestand, stand in Block B, Reihe 14, und applaudierte
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