Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
Sommer mindestens zwei ineinander verliebten, die sich besser nicht verliebt hätten, weil sie schon anderweitig vergeben waren. Aber Freilichttheater war ein bisschen wie Schullandheim: Man probierte sich aus, nützte jede sich bietende Gelegenheit. Was in Schwäbisch Hall passierte, blieb auch in Schwäbisch Hall. Nach spätestens drei Monaten war ohnehin alles vorbei. Unschön wurde es allenfalls, wenn der, an den man sich im richtigen Leben gebunden hatte, blöderweise zu einem unangemeldeten Spontanbesuch auftauchte. Oder wenn man sich im Unguten getrennt hatte und im nächsten Sommer doch wieder zusammen verpflichtet wurde.
In Biggis Fall gab es einen Verlobten: Denis Lützel, einer der Lichttechniker. Sie glaubte zu diesem Zeitpunkt, dass er bereits seit Stunden schnarchend dem Tiefschlaf der Gerechten in seinem Zimmer auf der anderen Kocherseite frönte, aber das tat er nicht, er stand mit seinem zum Weinglas umfunktionierten Zahnputzbecher in einer dunklen Ecke neben den Parkplätzen und beobachtete finster den Spuckeaustausch zwischen seiner Verlobten und dem Theaterfritzen. Was wollte der Depp von seiner Biggi? Warum krallte der sich nicht Salina, den großen aufgehenden Star am Aktricenhimmel? Und wer, bitte schön, kleisterte sich heutzutage noch Brillantine ins Haar? Das tat ja nicht mal mehr dieser Freiherr zu Guttenberg. Denis nahm noch einen großen Schluck.
Derweil hatte Hauptaktrice Salina offenbar für diesen Abend genug getrunken.
»Hossa!«, rief sie und warf in großer Geste ihr Glas nach hinten gegen die Hauswand, wo es klirrend in tausend Scherben zersprang. »Schlaft gut, ihr Süßen alle. Ich ziehe mich jetzt zurück.«
Sie wankte in Richtung Haustür.
Die meisten, an denen sie vorbeikam, applaudierten ihr noch einmal zu. Nur Agnes Vilenti, das größte Lästermaul unter der Sonne, presste verächtlich ihre ohnehin schmalen Lippen aufeinander und zupfte sich einige versprengte Glassplitter aus dem Mohairpulli. Sie sagte aber nichts. Also zumindest nicht, solange Salina noch in Hörweite war. Dann bühnenflüsterte sie: »Hoffentlich fällt diese Angeberin aus dem Bett und bricht sich das Genick.«
»Huch, dir strömt das Gift heute aber wieder aus jeder Pore«, lästerte Manni Schulz, der auf der Freilichtspieltreppe den sich verdächtig machenden Vater der ermordeten Suzy Pommier gab. »Du hättest wohl selbst gern die Hauptrolle übernommen, was?«
Manni war jeden Sommer bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall, schon seit den Tagen des vorigen Intendanten Achim Plato, böse Zungen behaupteten gar, seit dem vorvorigen Intendanten, Wilhelm Speidel, also seit den frühen sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zugegeben, er sah trotz Glattzurrung durch Chirurgenhand schon recht kompostös aus, aber er hatte noch eine echte Sprechausbildung genossen, seine Altmännerstimme dröhnte quer über den ganzen Marktplatz, und das völlig ohne Headsetmikro.
Und genau deswegen hörte man ihn jetzt auch bis hinüber zum Mäuerchen, auf dem Biggi und Roger zu Phase zwei des Vorspiels übergegangen waren. Ihre rechten Hände waren nicht mehr zu sehen und befanden sich aller Wahrscheinlichkeit unterhalb der Kleidung ihres Gegenübers, in Höhe der sekundären Geschlechtsmerkmale.
Doch nun schob Biggi ihren Toyboy von sich und sah zu Manni und Agnes hinüber.
»Meinst du, sie kriegt die Rolle der Suzy, wenn Salina was passiert?«, fragte sie Roger Reitz.
Aber dessen Blut befand sich bereits insgesamtheitlich unterhalb der Gürtellinie, weshalb sein Gehirn nur ein unverständliches Murmeln zustande brachte, bevor er sich wieder daranmachte, an Biggis Ohrläppchen zu knabbern.
Agnes war derweil aufgesprungen. »Ach, lass mich doch in Ruhe, Manni, du alter Sack. Konzentrier du dich doch lieber auf die Frage, ob du deine Botox-Unterspritzungen von der Steuer absetzen kannst oder nicht.«
Sie stürmte ins Haus, in die Gemeinschaftsküche des Wohnheims, um eine neue Flasche Wein zu holen. Ob sie die trinken oder damit Manni erschlagen wollte, weil dieser den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, war nicht ganz klar.
Aber sie kehrte nicht zurück. Die geschenkten Freilichtspielweinflaschen waren nämlich bis auf den letzten Tropfen geleert. Da der Quell nun versiegt war, machte sich bleierne Müdigkeit unter den Partygästen breit. Einer nach dem anderen verschwand in seinem Wohnheimzimmer, manchmal in Begleitung eines Kollegen, der nicht im Wohnheim wohnte, aber zu betrunken war, um noch in sein
Weitere Kostenlose Bücher