Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
in Schwäbisch Hall gewesen. Andererseits, vielleicht war er nach der zweiten Tat gleich wieder nach Berlin zurückgefahren. Oder diese Fahrkarte war gefälscht, und er hatte sie irgendeinem echten Reisenden abgeluchst. Nein, wie hätte das gehen sollen? Sich an den Bahnhof Schwäbisch Hall stellen und jeden Ankömmling fragen, ob er zufällig gerade aus Berlin kam, um ihn zu bitten: »Gibst du mir deine Fahrkarte? Kriegst auch einen Euro!«
Nein, höchst unwahrscheinlich.
»Ich weiß gar nicht, was ich ohne sie anfangen soll«, flüsterte Möck tonlos. »Sie war der Mittelpunkt meines Lebens, der Stern, um den sich mein ganzes Universum drehte.«
Er sah Seifferheld waidwund an. »Meinen Sie, ich könnte sie noch einmal sehen?«
Seifferheld ging davon aus, dass Salina Tressler in diesem Moment auf dem Stahltisch des Gerichtsmediziners lag, der gerade ihre Innereien aus der Bauchhöhle fischte und in Waagschalen legte. »Sie sollten sie so in Erinnerung behalten, wie sie war, als Sie sie zum letzten Mal gesehen haben«, meinte er und legte Möck die Hand auf die Schulter.
Das öffnete dummerweise die Schleusen.
Der Berliner heulte, heulte sich die Seele aus dem Leib.
Seifferheld überlegte, wie lange er seine Hand anstandshalber noch auf der Schulter von Möck liegen lassen musste, bevor er sie wieder einziehen und schleunigst verschwinden lassen konnte. Sein Bauch sagte ihm, dass die Heulsuse nicht der Täter war. Nicht, weil Heulsusen nicht töten konnten, aber sie töteten mit Gefühl und inszenierten nicht zweimal hintereinander ein steriles, wenn auch künstlerisches Szenario.
»Mörder!«, gellte es da aus Richtung Hofeinfahrt. Jemand sprang aus einem beigefarbenen Mercedes.
Es war Stefano Tressler.
Er kam auf Seifferheld und Möck zugerannt, hinter ihm ein vierschrötiger Mann im dunklen Anzug.
Wurster stellte sich Tressler in den Weg, bevor der sich auf Möck werfen konnte.
»Das ist er! Der Stalker! Der hat meine Schwester auf dem Gewissen! Mörder!«
Seifferheld überlegte, was Stefano von Beruf sein mochte. Tenor? Seine Stimme war bestimmt bis zur Tennisanlage auf der anderen Flussseite zu hören.
Onis, der neben Seifferheld lag, schnaubte.
»Beruhigen Sie sich, Herr Tressler«, sagte Wurster. »Wir haben hier alles im Griff.«
Zum großen, ja größten Entsetzen von Siggi Seifferheld suchte Möck Schutz in seinen Armen, presste sich wie ein verängstigtes Kitz an den alten Rehbock.
»Ähem«, sagte Seifferheld.
»Er soll für seine Tat büßen!«, verlangte Tressler lynchlüstern und immer noch trommelfellvibrierend. Und mit großer Selbstverständlichkeit. Als ob es in seinen Kreisen Usus wäre, Verdächtige an den nächstbesten Baum zu knüpfen.
»Schon gut, Herr Tressler, ich kümmere mich um alles, überlassen Sie das mir.« Der Vierschrötige im Anzug – auf den ersten Blick ein C&A-Anzug, der für einen völlig anderen Körperbau entworfen worden war und deshalb an den unmöglichsten Stellen ausbeulte – kam Seifferheld irgendwie bekannt vor.
Jetzt kam auch Bauer zwo wieder angelaufen.
»Grüß Gott, Herr Euler. Können wir Ihnen irgendwie weiterhelfen?« Es fehlte nur noch, dass er vor dem vierschrötigen Kerl einen Bückling gemacht hätte.
Als Adjutant von Polizeichefin Bauer war Bauer zwo natürlich auch bei allen wichtigen Anlässen in der Kocherstadt anwesend und kannte daher sämtliche Amt- und Würdenträger.
Bei dem Namen Euler horchte Seifferheld auf. Natürlich, Gemeinderatsmitglied, Rotarier, Vorsitzender des Sportvereins, Honoratior par excellence. Erwin Euler. Ein Gesicht wie ein Bullterrier. Und ebensolche Manieren.
»Wieso sitzt der Verdächtige hier noch herum? Und das ohne Handschellen? Sorgen Sie gefälligst dafür, dass der Mann abtransportiert wird.« Euler sagte das zu niemand im Besonderen, er war es gewohnt, dass man seinen Wünschen auch ohne Blickkontakt nachkam. Nur Möck funkelte Euler finster an und versuchte, noch tiefer in Seifferhelds Achselhöhlen zu kriechen.
Bauer zwo hätte beinahe salutiert. »Jawohl«, antwortete er nur, packte Möck unsanft am Ellbogen und zog ihn erst auf die Beine und dann in Richtung Streifenwagen.
»Müssen Sie mir nicht meine Rechte vorlesen?«, schniefte Möck.
»Ich muss gar nichts. Wir sind hier nicht in einer amerikanischen Polizeiserie.« Bauer zwo war ebenso schmächtig wie Möck, da war es gut, dass der Berliner sich widerstandslos abführen ließ, sonst hätte es eine Fliegengewichtskeilerei
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