Gestohlene Leidenschaft
Schmach ausliefern. Und das Risiko war ihr zu groß.
„Ja, sicher“, behauptete sie daher und wollte an ihm vorbei ins Labor gehen. Khalis aber blieb reglos an der Tür stehen. Also musste Grace sich an ihm vorbeidrängen, wobei ihre Brüste seinen Oberkörper berührten. Sofort durchflutete ein heftiges Verlangen ihren ganzen Körper. Grace sah auf und begegnete Khalis’ Blick. Gleich küsst er mich und nimmt mich auf der Stelle, dachte sie und wusste, dass sie ihm nicht widerstehen könnte.
Doch er wich zurück und atmete hörbar aus. Grace verschwand im Labor.
Eine halbe Stunde später ließ er ihr das Abendessen auf einem Silbertablett servieren. Ihr Blick fiel auf eine blütenweiße Serviette, Silberbesteck, ein kostbares Weinglas und eine Karaffe Wein. Wie aufmerksam, dachte Grace gerührt. Ob Khalis wusste, wie viel ihr diese kleinen Gesten bedeuteten? Wollte er sie damit mürbemachen?
Sie stocherte im Essen herum und fühlte sich einsamer denn je. Schließlich schob sie das Tablett beiseite und widmete sich wieder der Arbeit.
Am nächsten Tag sah sie Khalis nicht, spürte jedoch seine Anwesenheit im Haus. Er musste bereits gefrühstückt haben, denn neben ihrem Teller lag eine Zeitung mit aufgeschlagenem Kulturteil. Einen der Leitartikel hatte Khalis mit einem humorvollen Kommentar versehen, über den Grace lachte. Sie trank ihren Kaffee, aß eine Scheibe Toast und verschwand im Labor, wo sie schon bald völlig in die Analyse der beiden auf Holz gemalten Werke vertieft war. Eric hatte sie freundlicherweise für sie ins Labor getragen. Zunächst untersuchte Grace das Alter der verwendeten Holztafeln.
Zur Mittagszeit brachte Shayma, so hieß die junge Frau, die für die Mahlzeiten zuständig war, ein Tablett mit Kaffee und belegten Broten – und eine Vase mit einer Calla.
Als Shayma wieder im Lift verschwunden war, beugte Grace sich selbstvergessen über die duftende Blüte und berührte sie mit den Lippen. Dabei erinnerte sie sich, dass Loukas ihr einmal Rosen geschickt hatte, als sie um ihren Vater getrauert hatte. Die liebevolle Geste hatte sie gerührt. Es tröstete Grace, dass jemand an sie dachte und für sie da war. Später war sie allerdings misstrauisch geworden. Loukas hatte ihr die Blumen vermutlich nur geschickt, weil er glaubte, so schneller bei ihr landen zu können. Wohin das geführt hatte, wusste sie nur zu gut. Wenigstens war sie jetzt gewarnt. Noch einmal würde sie nicht auf so eine Geste hereinfallen!
Entschlossen machte Grace sich wieder an die Arbeit. Das Abendessen, das Shayma ihr servierte, rührte sie kaum an. Schließlich ging sie direkt in ihr Zimmer, wo sie bald in einen unruhigen Schlaf fiel.
Der nächste Tag verlief ähnlich. Sie analysierte die Farbpigmente der beiden Gemälde von Leonardo da Vinci und legte nur Pausen ein, wenn Shayma die Mahlzeiten brachte. Beim Essen dachte Grace an Khalis, dessen Anwesenheit deutlich spürbar war. Jeden Morgen ließ er die Zeitung auf dem Frühstückstisch für sie liegen. Er sorgte für Blumen auf jedem Tablett, das Shayma ihr brachte, und er hatte sich um eine bessere Beleuchtung im Labor und einen bequemeren Stuhl gekümmert. Dass er daran gedacht hat! Er fehlt mir, musste Grace sich widerstrebend eingestehen.
Vier Jahre lang war sie einsam und allein gewesen und hatte gern diesen Preis für ihre Freiheit gezahlt. Doch seit sie Khalis kennengelernt hatte, spürte sie eine tiefe Sehnsucht nach Nähe in sich, die ihr Angst machte.
An diesem Abend brauchte sie dringend frische Luft. Unauffällig schlüpfte sie durch den Hintereingang hinaus auf den Innenhof und schlenderte zum verlassen daliegenden Pool. Insgeheim hatte sie gehofft, Khalis würde um diese Zeit seine Bahnen ziehen. Ihr Verlangen nach frischer Luft war nur ein Vorwand gewesen.
Verzweifelt presste sie die Hände gegen die Schläfen, als könnte sie ihre Sehnsucht dadurch bezwingen. Immer wieder rief sie sich in Erinnerung, was auf dem Spiel stand. Sie lief Gefahr, Katerina ganz zu verlieren. Schon jetzt durfte sie ihre Tochter nur an einem Sonnabend im Monat sehen. Zwölf Mal im Jahr.
Schnellen Schrittes schlug Grace einen der Gartenwege ein, als könnte sie so den belastenden Gedanken davoneilen. Doch sie verfolgten sie ununterbrochen. Wenn du dich mit einem Mann einlässt, verlierst du deine Tochter und dich selbst. Khalis ist auch nicht anders als andere Männer. Und selbst wenn er anders wäre … du hast dich nicht geändert.
Sie wünschte, sie könnte
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