Gestohlene Leidenschaft
heftigen Impuls zu unterdrücken, sich an Khalis zu schmiegen. „Kann sein“, stieß sie mit bebender Stimme hervor.
„Und nun sind wir auf dieser Insel gelandet und ganz allein auf dieser Welt.“
„Ich fühle mich wirklich allein“, wisperte Grace. Es fiel ihr unsagbar schwer, das zuzugeben. „Und einsam.“
Nun umfasste Khalis auch ihre andere Schulter und zog Grace behutsam an sich. „Ich weiß. Mir geht es genauso“, gestand er leise. Einen Moment schmiegte sie sich an ihn, atmete den herben Duft seines Aftershaves ein und ließ sich von der Körperwärme umhüllen. Sie fühlte sich sicher und geborgen. Und wenn sie den Kopf in den Nacken legte, würde Khalis sie küssen. Alles wäre so einfach und so gefährlich.
Ich würde alles verlieren.
Resolut löste sie sich von ihm und wandte sich ab, da sie fürchtete, er würde ihr sonst ansehen, wie groß ihre Sehnsucht nach ihm war. Verzweifelt stolperte sie auf dem schmalen Pfad weiter, bis sie fast gegen die hohe Mauer geprallt wäre, die das Anwesen umgab. Im Mondschein glitzerten die Glassplitter auf der Mauerkrone und erinnerten Grace daran, dass sie gefangen war. Bis ans Ende ihrer Tage?
Frustriert schlug sie auf die Mauer ein, bis ihre Hände schmerzten. „Ich hasse Mauern“, schrie sie immer wieder verzweifelt.
„Dann lass sie hinter dir.“ Ruhig zog Khalis sie an einer Hand in die andere Richtung, bis eine Tür in Sicht kam. Durch die schreckliche Mauer führte eine Tür, und Khalis kannte den Code, um sie zu öffnen!
Grace konnte es kaum erwarten, hindurchzuschlüpfen und frei zu sein. Jenseits der Mauer war die Luft kühler und frischer. Khalis führte Grace einen felsigen Klippenweg hinunter zu einem idyllisch in einer Felsbucht gelegenen Strand. Die Wellen brachen sich geräuschvoll am Ufer.
„Jetzt geht es mir schon viel besser“, sagte Grace, als hätte sie nur einen ihrer Migräneanfälle gehabt.
„Warum reagierst du so heftig auf Mauern?“
„Wer macht sich schon etwas aus Mauern?“
„Vermutlich niemand. Aber du scheinst sie richtiggehend zu hassen.“
Grace ließ den Blick über das im Mondlicht silbern schimmernde Meer schweifen. „Stimmt. Ich habe einmal auf einer abgelegenen Privatinsel gewohnt. Das Haus dort war auch von hohen Mauern umgeben. Besonders wohl war mir dort nicht zumute.“
„Konntest du nicht fort?“
„Das war schwierig.“
„Willst du damit sagen, du wärst dort gefangen gewesen?“, fragte er ungläubig.
„Ja und nein. Es war nicht nur die Mauer, die mich gefangen hielt, sondern auch Hoffnungen, Ängste, Fehler und Erinnerungen.“ Sie drehte sich um und sah Khalis fest in die Augen.
„Das klingt sehr nach Psychogerede.“
„Vielleicht.“ Grace hob die Schultern. „Willst du mir wirklich weismachen, dass diese Insel dich völlig kaltlässt?“
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Nein“, gab er dann ehrlich zu.
Diese Erkenntnis mussten sie beide erst einmal verdauen. „Was hast du eigentlich mit der Insel vor?“, fragte Grace schließlich. „Wirst du herziehen?“
Er lachte bitter. „Diese Frage müsstest du dir nach unserem Gespräch eigentlich selbst beantworten können, Grace. Nein, ich werde hier ganz sicher nicht wohnen. Sowie ich den Nachlass meines Vaters geregelt habe, werde ich die Insel verkaufen.“
„Willst du Tannous Enterprises von Amerika aus leiten?“
„Ich werde den Konzern überhaupt nicht leiten, sondern ihn zerschlagen und die einzelnen Unternehmen verkaufen. Niemand soll jemals wieder so viel Macht auf sich vereinigen wie mein Vater.“
Sein entschlossener Gesichtsausdruck sprach für sich. Grace wunderte sich und hakte nach. „Ich dachte, du wolltest den Konzern umkrempeln und ab sofort nur noch legale Geschäfte machen.“
Auch Khalis blickte aufs Meer hinaus. „Ich glaube kaum, dass mir das gelingen würde. Einige Dinge lassen sich wohl nicht zum Besseren wenden.“
„Da bin ich anderer Meinung“, widersprach sie enttäuscht. „Ich bin überzeugt, dass man jeden … Fehler verzeihen und vielleicht sogar wiedergutmachen kann.“
„Mein Vater ist tot. Ich kann ihm nicht mehr vergeben. Selbst wenn ich es wollte“, erklärte Khalis ausdruckslos.
„Willst du das denn nicht?“
„Warum sollte ich? Hast du eine Vorstellung davon, wie mein Vater war?“
„Vage.“
„Pst.“ Khalis zog sie lächelnd an sich und legte ihr einen Finger auf den Mund. „Ich habe dich nicht zu dieser romantischen Bucht gebracht, um über meinen Vater zu
Weitere Kostenlose Bücher