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Gestohlene Wahrheit

Gestohlene Wahrheit

Titel: Gestohlene Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Ann Walker
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erkannt. Wenn wir den Job nicht gemacht hätten, dann hätten ihn andere übernommen. Vielleicht sogar jemand, der wirklich ein Sadist gewesen wäre. Es ist ein sehr schmaler Grat zwischen der Dunkelheit und dem wahren Bösen. Wir haben unser Bestes gegeben, um ihn nie zu überschreiten, auch wenn wir es einmal unabsichtlich getan haben. Aus diesem Grund sind wir ausgestiegen und haben angefangen, für Boss zu arbeiten.«
    Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und sah ihm aufmerksam ins Gesicht. Was immer er ihr auch erzählte, sie würde nie etwas Schlechtes von ihm denken.
    Wenn sie nur wüsste …
    »Was ist passiert?«, flüsterte sie und sah ihm in die Augen.
    Was war passiert? Sie hatten einen Unschuldigen getötet.
    »Wenn man ein Ziel ausspäht …«, erklärte er ihr und schloss die Augen, damit er ihr Gesicht nicht sehen musste, während er ihr diese traurige Geschichte erzählte. Nach all dem, was sie in den letzten Stunden erlebt hatten, konnte er es nicht ertragen, die Ernüchterung oder Kritik in ihrem hübschen Gesicht zu sehen. »… dann beobachtet man denjenigen über mehrere Tage, Wochen oder manchmal sogar Monate. Man sieht ihm dabei zu, wie er morgens Kaffee trinkt, auf die Toilette geht, seine Frau liebt, seine Kinder küsst. Er wird immer weniger zum Ziel und mehr zum Menschen. Es ist leicht, bei einem Ziel den Abzug zu drücken, bei einem Menschen dagegen ist es viel schwerer.«
    Selbst nach all dem harten, grausamen Training bei den Marines hatte er wie ein verdammtes Baby geweint, als er den ersten Menschen getötet hatte. Er erinnerte sich noch gut daran, wie ihm Grigg einen Arm um die Schulter gelegt und ihm dann ruhig und methodisch die Schandtaten dieses Mannes aufgeführt hatte. Irgendwann waren Nates Tränen getrocknet, und er hatte nie wieder um ein anderes Ziel geweint … bis zu der Sache in Moskau.
    »Grigg und ich haben versucht, eigene Nachforschungen über unsere Ziele anzustellen«, fuhr er fort und verbannte die schmerzhafte Erinnerung an jenes erste Mal aus seinem Geist. »Wir wollten sichergehen, dass es gerechtfertigt war, dass die Männer, deren Leben wir beendeten, es auch verdient hatten. Wir wollten davon überzeugt sein, dass wir der Welt einen Gefallen tun, indem wir diese Person auslöschten.«
    »Das konntet ihr tun? Ihr habt nicht einfach Befehle bekommen und sie befolgt?«
    »Wären wir normale Soldaten im Corps gewesen, dann wäre das so gelaufen. Aber wir wurden direkt nach der Marine Scout Sniper School aus unserer Einheit geholt und für die Spezialeinheit rekrutiert. Das hat alles verändert. Bei der Spezialeinheit hatten wir mehr Freiheiten, weitaus mehr Handlungsspielraum. Wir konnten meist unsere eigene Aufklärungsarbeit machen.«
    Sie schüttelte den Kopf, und in ihren Augen glitzerten Tränen. »Das wusste ich nicht. Grigg hat mir das nie erzählt.«
    Er hielt ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger fest und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Das konnte er nicht, Ali.« So einfach war die Sache.
    Sie erwiderte seinen Blick und erkannte, dass er die Wahrheit sagte. »Dann wart ihr, Grigg und du, also das persönliche Zweimann-Exekutionsteam der US-Regierung.«
    »Nicht nur wir beide«, erwiderte er und dachte an all die Männer, die mit ihm und Grigg auf die Marine Scout Sniper School gegangen waren und die für die weitaus geheimere und dreckigere Arbeit in den Spezialeinheiten aus ihren Einheiten herausgeholt worden waren. »Da gab es viele, die die harten Jobs gemacht haben. Sie haben die Gesichter der Männer, die sie getötet hatten, in ihren Träumen gesehen und wussten, dass sie niemals völlig frei sein, sondern sich immer an den Blick ihrer Ziele in ihren letzten Sekunden erinnern würden.«
    Er spürte ihren Atem an seinen Lippen, und als er die Augen aufschlug, beobachtete sie ihn genau. Sie hielt seinem Blick stand und küsste ihn, leidenschaftlich, verständnisvoll.
    Am liebsten hätte er geweint.
    »Erzähl mir, was passiert ist, dass ihr das Corps vor drei Jahren verlassen habt.«
    Wenn er an diesen kalten Tag in Moskau dachte, hatte er noch immer ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Der Wind hatte wie Eispickel gestochen, und die Feuchtigkeit seines Atems hatte sich als Eiskristalle in seinem Bart niedergeschlagen. Es war beinahe unmöglich gewesen, den Abzug zu drücken, da seine Finger fast ganz gefroren waren. Doch er hatte es geschafft. Das Resultat war, dass ein unschuldiger Mann im eisigen russischen Schnee verblutet

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