Gestohlene Wahrheit
und hinter der auf dem Dach befindlichen Klimaanlage in Deckung ging, als das Feuer erwidert wurde.
Dann flogen auf einmal keine Kugeln mehr. Die Stille nach dem Schusswechsel legte sich schwer auf das Chassis der Phantom. Das leise
Tick-Tick-Tick
des im Leerlauf befindlichen Motors klang im Vergleich dazu schon unverschämt laut.
Nate suchte das gegenüberliegende Dach nach dem geheimnisvollen Mann ab, als er einen gedämpften Schrei hörte. Als er sich umdrehte, sah er die Männer von Black Knights Inc. bis zu den Zähnen bewaffnet auf sie zulaufen.
Und dann …
»Oh mein Gott!«, flüsterte Ali mit vor Schreck aufgerissenen Augen, als sie durch das halb offen stehende Tor auf das Gelände sah. »Ist das Patti?«
»Nein«, stöhnte er, und seine Brust zog sich so eng zusammen, dass er zu ersticken glaubte. »Großer Gott, nein!«
Aber auch wenn sie es nicht wahrhaben wollten, so ließ sich nicht leugnen, dass Patti keine zwei Meter hinter dem Tor langgestreckt auf dem Boden lag, während sich der dunkle Blutfleck unter ihr langsam zu einem makabren Kreis ausbreitete.
Sie hatte wohl ein Blech mit Schokokeksen in der Hand gehabt, als sie niedergestreckt worden war. Jetzt lagen sie wie eine Art furchtbares Konfetti rings um ihren Körper verstreut.
In einer Minute kniete Dan noch neben seiner Frau, in der nächsten rannte er schon durch das halb geöffnete Tor und schrie wie ein Berserker. Er wand und drehte sich, bis er sich durch die Lücke gezwängt hatte, nur um danach wie ein Verrückter mit pumpenden Armmuskeln und seinen starken Beinen loszurennen, und dann …
Heilige Scheiße!
Er prallte gegen den geheimnisvollen Mann, der gerade die Feuerleiter des Bagelladens herunterkletterte. Dans neunzig Kilo bewirkten, dass die beiden Männer durch die Luft flogen und ihre Waffen verloren, die jedoch im darauffolgenden Handgemenge schnell vergessen waren. Eine Sekunde später saß Dan bereits auf der Brust des Mannes und bearbeitete sein Gesicht mit beiden Fäusten.
»Dan!«, brüllte Nate und rannte auf die beiden Männer zu. »Das ist nicht der Schütze!«
Aber Dan konnte ihn nicht hören. Übermannt von Trauer und Wut, stand Dan völlig neben sich und blendete alles außer seinem übermächtigen Rachedurst aus.
Nate legte die Arme um Dans Brust, schlug ihm mit dem Ellenbogen einmal fest gegen das Ohr, sodass er fast das Bewusstsein verlor, und zerrte den schreienden und weinenden Mann von seinem Gegner herunter. Obwohl Nate bestimmt zehn Kilo mehr auf die Waage brachte, war es nicht gerade einfach, da in Dan die unkontrollierbare Wut wie eine Feuersbrunst tobte, die ihm die Kraft von zehn Männern zu verleihen schien.
»Das ist nicht der Schütze!«, brüllte Nate Dan direkt ins Ohr und versuchte mit aller Macht, diesen um sich tretenden und knurrenden Berserker festzuhalten. »Das ist nicht derjenige, der Patti erschossen hat!«
»Du verdammter Arsch!«, schrie der geheimnisvolle Mann. Das war natürlich genau das, was Nate
nicht
gebrauchen konnte. Doch auf einmal erstarrte Dan. Nate konnte spüren, wie sich sein ganzer Körper krümmte, und er packte fester zu, da er damit rechnete, dass Dan versuchen würde, sich seinem Griff zu entziehen. Doch das geschah nicht. Der verdammte Arsch – zumindest damit lag der geheimnisvolle Mann richtig – warf den Kopf in den Nacken und schlug so heftig gegen Nates Nase, dass dieser leuchtend gelbe Sterne vor seinen Augen sah. Er ließ Dan los, als ihm das Blut über den Mund und das Kinn strömte.
Dan nutzte seinen kurzzeitigen Schockzustand aus und rammte den geheimnisvollen Mann, der sich gerade aufrappeln wollte. Sie fielen gemeinsam auf den Boden, und Dan hatte rasch wieder die Oberhand gewonnen. Nur, dass er den geheimnisvollen Mann dieses Mal nicht schlug. Oh nein. Jetzt legte er seine Hände um die Kehle des Mannes und drückte so fest zu, dass die Sehnen in seinen Unterarmen wie Gartenschläuche hervorstanden.
»Er … ent … kommt«, stieß der geheimnisvolle Mann aus, dessen Gesicht puterrot anlief und dessen Augen langsam aus ihren Höhlen traten.
Über sein lautstarkes Schluchzen konnte Dan den Mann nicht verstehen, und er konnte auch nicht sehen, dass sein Gegner etwas sagen wollte, da ihm Tränen und Rotz als schleimige Masse über das verzerrte Gesicht strömten.
»Dan.« Nate ignorierte das Blut, das ihm in den Mund lief, und kauerte sich neben die beiden Männer. »Du musst mir jetzt zuhören, Kumpel. Dieser Kerl hier hat nicht auf
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