Gestohlene Wahrheit
versuchte, seinen nicht gerade schmalen Körper zwischen ihren Beinen hindurchzuzwängen. Nachdem sie sich mit ihm in den Armen wieder aufgerichtet hatte und ihn an ihre Brust drückte, fing das verräterische Tier – schließlich war Becky diejenige, die jeden Tag gewaltige Klumpen aus dem Katzenklo schaufelte und ihn mit leckerem Futter versorgte; war da ein bisschen Loyalität etwa zu viel verlangt? – so laut an zu schnurren, dass sie Pat Benatars »Heartbreaker« nicht mehr hören konnten.
Zum Glück hatte sie gestern Abend daran gedacht, ihren iPod aufzuladen. Noch ein Tag Achtziger-Musik und sie hätte sich für eine Lobotomie anmelden können.
»Ich mag gar nicht an die armen Tiere denken, die ihr Leben gelassen haben, nur damit ich auf dem Rücksitz eines Motorrads schick aussehe.« Ali änderte offenbar ihre Taktik.
»Entschuldige mal, bist du dieselbe Frau, die gestern Abend nicht nur einen, sondern gleich zwei Hotdogs aus
Rindfleisch
gegessen hat? Du hast also kein Problem damit, Tiere zu essen, du willst dir ihre Haut nur nicht auf den Rücken schnallen?«
»Oh!« Ali ließ Peanut zu Boden fallen, und die dumme Katze wagte es, sich erneut gegen ihre Beine zu pressen. Selbst wenn sie schlecht behandelt wurde, himmelte sie noch den falschen Menschen an. Jetzt reichte es. Ab heute würde es nur noch Trockenfutter geben. Der pelzige kleine Judas war schon genug verwöhnt worden. »Hör auf, dich mit mir zu streiten, wenn ich doch nicht gewinnen kann«, forderte Ali, die in dem ganzen Leder ziemlich heiß aussah, und ballte die Hände zu Fäusten.
Becky schüttelte den Kopf und lachte. Die arme Frau würde alles tun, um nicht daran denken zu müssen, dass sie sich die nächsten fünfzehn Stunden an Ghosts Rücken schmiegen musste. Was immer letzte Nacht zwischen ihnen vorgefallen war und dafür gesorgt hatte, dass sie sich heute Morgen wie kampfbereite Löwen umkreisten, würde auf dem engen Motorradsitz zweifellos auch nicht besser werden.
»Entschuldige«, sagte Ali mit betretenem Gesicht. »Normalerweise bin ich nicht so … so …« Sie beschrieb kleine Kreise mit der Hand, während sie nach dem richtigen Wort suchte.
»Zickig?«, schlug Becky vor.
»Ich wollte eigentlich ›reizbar‹ sagen«, erwiderte Ali verstimmt.
Ja, zickig. Becky kicherte. Sie mochte Ali. Das tat sie wirklich. Auch wenn die Frau ein bisschen naiv und etwas zu zickig war … Aber vielleicht war das auch nicht fair. Die meisten Frauen waren etwas zu zickig, verglichen mit ihr selbst. Vielleicht war Frank deshalb so irritiert von ihr. Möglicherweise fand er, sie sei zu männlich. Sollte sie vielleicht …
Verflixt.
Warum musste jeder Gedanke letzten Endes bei Frank landen? Vielleicht sollte sie tatsächlich über eine Lobotomie nachdenken.
»Es wird schon alles gut gehen«, versicherte sie Ali und legte ihr eine Hand auf die mit Leder bedeckte Schulter.
»Wirklich?«, erwiderte Ali. »Woher willst du das wissen?«
»Weil du die Black Knights auf deiner Seite hast, und sie sind nun mal die Besten. Außerdem würde Ghost eher sterben, als zuzulassen, dass dir etwas zustößt.«
»Ja.« Ali holte tief Luft und erschauderte. »Das ist es ja gerade, was mir Angst macht.«
Wow. Die beiden waren echt nicht mehr zu retten.
Ghost hob im Grunde genommen das Bein und pinkelte Ali an, wann immer sie ins Zimmer kam, und Ali bekam große Augen und wurde rot, wann immer Ghost sie ansah.
Vielleicht würde die Reise ihnen helfen. Eventuell tat es ihnen gut, gezwungenermaßen zusammen zu sein, sodass sie endlich einknickten und zugaben, dass sie bis über beide Ohren in den anderen
verliebt
waren. Es konnte aber auch das genaue Gegenteil eintreten. Fünfzehn Stunden waren eine verdammt lange Zeit, um auf dem Motorrad zu sitzen. Becky war normalerweise schon nach vier oder fünf Stunden völlig erschlagen. Wenn sie sich vorstellte, fünfzehn Stunden auf einer Phantom zu sitzen, war das … Tja, das war ihrer Meinung nach völlig verrückt.
Ali hatte keine Ahnung, worauf sie sich einließ, als sie darauf bestanden hatte, Ghost zu begleiten, doch es würde nicht lange dauern, bis sie es herausfand. Etwa drei Stunden, schätzte Becky. Dann würden Muskeln, von denen Ali bisher nicht einmal wusste, dass sie existierten, anfangen zu protestieren, und zwar lautstark.
Natürlich gab es dank ihr und Steady Soto auch keine andere Option. Nate vertraute Linienflügen nicht, weil sie seinen Worten zufolge »da jeden reinlassen«.
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