Gestohlene Wahrheit
noch weitaus schlimmer. Er nahm die Schmerztabletten vom Nachttisch und warf zwei Pillen ein, die er ohne Wasser herunterschluckte.
Na los, ihr chemischen Wunderwerke, zeigt eure Magie.
Zwanzig Minuten später hatte er geduscht und sich rasiert und stand mit einem glasierten Donut in der einen und dem Telefon in der anderen Hand in seinem Büro.
In DC war es schon fast sechs Uhr dreißig, was bedeutete, dass General Fuller einen Weckruf gebrauchen konnte. Den alten Haudegen würde das bestimmt nicht freuen, aber da musste er jetzt eben durch.
Den Schönheitsschlaf des Generals zu unterbrechen stand ziemlich weit unten auf der Liste der Dinge, die Frank an diesem Tag nicht tun wollte, weit unter »Becky nicht küssen« und »Keinen Krieg mit dem FBI oder der CIA anfangen«. Wenn er General Fuller erst einmal geweckt und dazu gebracht hatte, seinen Teil des Deals zu erfüllen, dann konnte Frank auch gleich einige Dinge von seiner heutigen To-do-Liste abhaken. Hoffentlich auch die Punkte »Herausfinden, was zum Henker Agent Delaney untersucht hat« und »Herausfinden, warum zum Geier Griggs kleine Schwester von einem Agenten beschattet wird«.
»Frank?«
Er legte auf, bevor am anderen Ende jemand ans Telefon ging, und sah zu seiner offen stehenden Bürotür.
Offenbar war er nicht der Einzige, der letzte Nacht nicht geschlafen hatte. Alisa Morgan hatte dunkle Ringe unter den Augen. Es sah außerdem so aus, als ob sie geweint hatte.
Aus Angst? Wegen ihres Bruders? Mann, beide Gründe bewirkten, dass er sie am liebsten in Watte gepackt und in seinen Safe gesteckt hätte. Frauen, diese bewundernswerten sanften Kreaturen, sollten einen solchen Gesichtsausdruck gar nicht erst kennen. Er fühlte sich zum Teil verantwortlich dafür, weil er der Ansicht war, er hätte wissen müssen, dass einer seiner Männer einen Nebenjob angenommen hatte. Er hätte es bei Grigg spüren und gewarnt sein müssen.
Doch das hatte er nicht, und jetzt musste Alisa Morgan den Preis dafür bezahlen.
Sie hielt Peanut in den Armen und hatte ihre süße Nase in dem fleckigen Fell der Katze vergraben, sodass sie aussah wie ein kleines Mädchen, das Trost suchte.
»Komm rein, Ali«, sagte er, doch dann wurde ihm bewusst, dass sie ihn womöglich gar nicht hören konnte, weil der Kater so laut schnurrte. Also deutete er auf einen der Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen.
Sie setzte sich schnell und ließ den zufriedenen Peanut auf ihrem Schoß Platz nehmen. »Mir ist da was eingefallen. Vermutlich hat es nichts zu bedeuten, vielleicht aber doch …«
Er bedeutete ihr weiterzusprechen.
»Die Erinnerungskiste.«
War das eine neue Fernsehserie? Mann, er wurde offenbar wirklich alt. »Wie bitte?«
»Als wir aufwuchsen, waren unsere Eltern immer so vertieft in …« Sie schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Das ist unwichtig. Mann. Mein Gehirn fühlt sich an wie ein Schwamm … Völler Löcher, verstehst du?«
»Ich würde dir ja eine Tasse Kaffee anbieten …« Sie machte ein Gesicht, das zu sagen schien:
Da lasse ich mich lieber teeren und federn.
»Okay«, er kicherte. »Lieber nicht.«
»Das Zeug ist Motoröl«, erklärte sie mit angeekelter Stimme.
»Hmm, aber es wirkt Wunder, um das Gehirn auf Trab zu bringen.« Und es half ihm, den Lollis einer gewissen Verführerin zu widerstehen, die sie ihm ständig in die Hemdtasche steckte. Doch der Geschmack von Root Beer war nicht gerade angenehm, wenn man kurz zuvor einen Kaffee getrunken hatte.
»Nein, danke«, erwiderte Ali nur. »Mir ist mein Magen viel zu wichtig, als dass … autsch!«
Vorsichtig zog sie Peanuts Krallen aus ihrer Jeans. »Man sagt ja, dass Liebe wehtut, aber ich habe das nie ernst genommen, bis mir Peanut über den Weg gelaufen ist.«
Witzig. Die Frau war wirklich witzig. Außerdem sah sie niedlich aus und war unter ihrem zuckersüßen Äußeren ein erstaunlich zäher Knochen. Frank konnte verstehen, warum Ghost in ihrer Nähe zum Höhlenmenschen mutierte.
»Aber zurück zur Erinnerungskiste«, sagte sie und kraulte Peanut unter dem Kinn, bis er seine Augen in katzenhafter Ekstase verdrehte. »Grigg und ich haben als Kinder damit angefangen, indem wir kleine Andenken hineingelegt haben. Du weißt schon, was ich meine: seinen ersten Baseballhandschuh, meine erste Barbie, unsere guten Zeugnisse, solche Dinge.«
Ja, Frank hatte ebenfalls so eine Kiste voller Erinnerungen an seine Kindheit, die auf dem Dachboden seiner Schwester stand. Aber was hatte das mit
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