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Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Titel: Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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und musste sich noch einmal umarmen lassen. Auch diesmal nur kurz, denn Vertraulichkeiten mit dem übel beleumundeten Fietje würde Erik ebenso wenig gutheißen.
    »Wenn du mich bei der Signora verpfeifst«, fügte Tove an, während er Fietje ein Jever hinstellte, »dann erzähl ich ihr, dass die Bank in meiner Zelle noch nicht kalt war, als du deinen Allerwertesten draufgesetzt hast. Die Leute, denen du ins Schlafzimmer geguckt hast, haben kurzen Prozess gemacht.«
    Fietje zog sich seine Mütze, ohne die er auch im Sommer nicht auskam, in die Stirn und versteckte sein Gesicht im Bierglas. Er war im Gegensatz zu Tove ein schmächtiger Mann. Sein Gesicht war von einem ungepflegten Bart überwuchert, während Tove einen Dreitagebart trug. Mit Sicherheit hatte er keine Ahnung davon, dass er damit en vogue war. Tove war groß und stark wie ein Bär, mit buschigen Augenbrauen und einem harten Mund. Fietje dagegen versteckte unter seinem Bart ein zartes Gesicht, das einmal hübsch gewesen war, mit sanft geschwungenen Lippen und einer schmalen Nase. An seinen Augen war noch immer abzulesen, was ihn früher ausgemacht hatte, als er noch der Liebling der Frauen gewesen war. Hell und freundlich waren sie und sehr aufmerksam, wenn jemand zu ihm sprach.
    Nach dem zweiten Glas Rotwein hatte Mamma Carlotta ihre Wiedersehensfreude bewältigt und Tove und Fietje erzählt, was sich in den vergangenen Monaten in ihrem Leben ereignet hatte. Die beiden wussten nun von der Fußpilzerkrankung der ältesten Schwiegertochter, vom Brautkleid der Nichte, die trotz ihrer fünfundvierzig Jahre in Weiß heiraten wollte, von dem unehelichen Kind der entfernt verwandten Friseurin und der Vermutung, dass der Bürgermeister dahintersteckte.
    Dann kam Mamma Carlotta auf Carolins Kurzgeschichte zu sprechen. »Das Kind möchte eine Beurteilung von mir«, erklärte sie unglücklich. »Ich muss Carolina etwas sagen, was ihr hilft, eine richtige Schriftstellerin zu werden.«
    Tove fiel plötzlich ein, dass seine Kaffeemaschine gereinigt werden musste. Zu der Fußpilzerkrankung hatte er eine Meinung gehabt, zu dem Brautkleid und dem unehelichen Kind ebenfalls – aber zu einem literarischen Werk? Nein! »Da müssen Sie Reich-Ranicki fragen«, brummte er und fing unter lautem Gepolter an, den Filter auseinanderzuschrauben.
    Mamma Carlotta hatte keine Ahnung, wer Reich-Ranicki war, bestand aber nicht auf einer Erläuterung, da Fietje Interesse bekundete, sich Carolins Kurzgeschichte vorlesen zu lassen.
    »Hoffentlich ist sie nicht lang«, knurrte Tove, »sonst vertreibt ihr mir noch die Kundschaft.«
    Mamma Carlotta war angenehm überrascht, dass Fietje ihr beim Vorlesen aufmerksam zuhörte. Trotzdem erwartete sie nichts, was ihr weiterhelfen könnte. Entmutigt ließ sie nach dem letzten Satz das Blatt sinken. »Was soll ich nur Carolina sagen? So richtig verstehe ich ihre Geschichte ja gar nicht.«
    »Sie sind Ausländerin«, brummte Tove. »Das ist doch eine gute Ausrede.«
    »Soll sie mich für dumm halten?«, fragte Mamma Carlotta empört. »Außerdem will ich wissen, warum der arme, alte Mann der Blumenfrau sein letztes Geld für Blumen gibt, für die er nicht einmal eine Vase hat. Und warum verkauft die Blumenfrau dem armen Kerl Blumen, wo sie doch weiß, dass er nicht einmal Geld fürs tägliche Brot hat?«
    »Er ist verrückt geworden, und sie ist skrupellos«, vermutete Tove.
    Mamma Carlotta schüttelte den Kopf. »Ich glaube, so einfach ist die Sache nicht.«
    Tove fiel ein, dass er mit dem Gespräch nichts zu tun haben wollte, und widmete sich wieder seiner Kaffeemaschine.
    Fietje fuhr sich durch den Bart und betrachtete nachdenklich den Blechkuchen, den Tove auf die Theke gestellt hatte. »Ich glaube, dass sich die eigentliche Aussage in den Blumen versteckt«, begann er vorsichtig. »Sie stehen für etwas anderes. Für Liebe, Freundschaft, Geborgenheit. Der alte Mann will endlich ein Lächeln von der Blumenverkäuferin, und er weiß, dass alle zahlenden Kunden eins bekommen. Jawoll!«
    Mamma Carlotta sah aus, als wäre sie bis ins Mark erschüttert. »Sie haben recht! So muss es sein! Jetzt verstehe ich, was Carolina mit der Geschichte ausdrücken will.«
    Fietje nickte und fuhr, mutiger geworden, fort: »Sie sollten Ihrer Enkeltochter raten, weniger Hauptwörter und mehr Verben zu benutzen. Das macht den Text lebendiger und bewegter. Hauptwörter verlangsamen, Tätigkeitswörter beschleunigen eine Erzählung.«
    Mamma Carlotta starrte ihn mit

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